Philosophie der Blattbildung – Teil 2: Vom Zufall zu Physik und Philosophie

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von Prof. PD Dr. Wilhelm Kufferath von Kendenich

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sph-Kontakte Nr. 83 | Juli 2006

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Fortsetzung der sph-Kontakte Nr. 82…

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Man sieht aus den Erörterungen über die Bedeutung des Zufalls, dass die Formulierungen unserer Alltagssprache sehr oft etwas ungenau sind, ein Grund für so viele Missverständnisse. Mathematik, Physik, Philosophie sind Grundwissenschaften, welche die präzise Denkungs- und Ausdrucksweise fördern; natürlich auch andere, aber diese drei haben etwas Prinzipielles an sich.

Stünde ich mit meiner heutigen Lebenserfahrung noch mal am Ende meiner Gymnasialausbildung und wollte mich für eine leitende Funktion in welcher Branche auch immer vorbereiten, ich würde Physik und Philosophie studieren. Und allem und allen zum Trotz, nebenbei ganz sicher Latein und Altgriechisch, aber richtig, nicht nur ein paar Vokabeln und ein wenig „Caesar“ zum darüber Fliegen. Das Studium der Wurzeln unserer Kultur ist Vorformation!

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Sozial: mehr als nur gleich

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Nun kann man gleiche Chance ja auch einmal als Chancengleichheit formulieren (Formulieren = Formieren eines Inhaltes in Worte), und das kommt uns recht geläufig vor. Gleiche Chance bedeutet nicht gleich. Dennoch wird beides allzu häufig und unbedacht gleichgesetzt.

Jede Einzelausgabe Mensch passt mit all ihren individuellen Zügen in das abstrakte Bild Mensch, in die Idee Mensch; doch deswegen sind die Menschen nicht gleich, ein jeder ist ein spezielles Exemplar. Die Forderung kann daher nicht sein, alle gleich, die Forderung muss sein, jedem die gleiche Chance.

Gleicher Chance herbeizuführen und zu gewährleisten, ist viel schwieriger zu erfüllen als die Forderung nach Gleichheit; in unserer Gesellschaft sind wir noch weit entfernt davon, ein angemessenes Gleichgewicht beider Forderungen zu erreichen. Und wir suchen allzu oft den leichteren Weg, einfach alle gleich machen oder gleich halten zu wollen.

Alles was mit Gestaltung der menschlichen Gesellschaft zusammenhängt, steht auch immer im „ursächlichen“ Zusammenhang mit der Erziehung. Gerade dort kommt es so sehr auf gleiche Chance an. J. H. Pestalozzi hat gemeint: Kopf, Herz und Hand. Das kann doch nur heißen, jeder im Rahmen seiner Begabung, jeder nach seiner Veranlagung. Im Unterschiedlichen die gleiche Chance gewähren.

Es liegt auf der Hand, es ist in der Tat außerordentlich schwierig, Kinder aus stark unterschiedlicher familiärer Herkunft auch nur annähernd vor den daraus entstehenden Benachteiligungen zu bewahren. Ihnen gleiche und gemeinsame Ausbildung zu ermöglichen, ist schon eine große Leistung unserer Gesellschaft, aber dabei dürfen wir nicht stehen bleiben, weil dadurch die Benachteiligungen nur teilweise aufgehoben werden können.

Die Natur und die Gegebenheiten bedingen nachhaltige Unterschiede selbst innerhalb der Familie, so z.B. durch die Reihenfolge eines Kindes; heute weiß man durch intensive Forschungen sehr viel mehr darüber. Ein „Sandwich“-Kind z.B., das zwischen anderen geboren ist, darf man nicht gleich behandeln wie die anderen, dadurch würde man ihm die gleiche Chance nehmen und es in seiner Entwicklung erheblich behindern. Und wenn schon in der Familie die gleiche Chance so schwer für alle Beteiligten zu erreichen ist, wie schwer erst in der Gesellschaft, wo die Unterschiede so viel größer sind.

Seit einiger Zeit liegen Forschungsergebnisse über die Auswahl des Vornamens auf die Persönlichkeitsentwicklung bei Kindern vor (hellvokalige Vornamen fördern positive Lebenseinstellung). Alle Kinder gleich benennen kann man nicht; es braucht daher ausgleichende Zuwendung.

Auch das bekannte Peter-Prinzip hat gewisse Bezüge zum Thema gleich und gleiche Chance, es zeigt die Folgen von positionellen Falschbesetzungen der Art: fähig, aber nicht geeignet.

Anderes Beispiel: so oft ist gerade heute zu hören und zu lesen, Mann und Frau sind gleich. Wenn sie das wären, warum dann Frauen ins Parlament, wenn Männer als die Gleichen bereits dort sitzen. Eben weil Mann und Frau nicht gleich sind, müssen auch Frauen ins Parlament. Der Unterschied ist wichtig, nicht die Gleichheit. Der Unterschied gebietet die gleiche Chance. Die Ungleichheit ist das Reisegepäck für unsere Lebensreise, das uns die Natur aufgeladen hat; gleiche Chance ist die Marscherleichterung auf dem beschwerlichen Weg.

Es heißt, gleich vor dem Gesetz, aber ohne gleiche Chance lässt sich dies nie erreichen. Schon die sprachliche Formulierung ist ungenau; Menschen werden vor dem Gesetz nicht gleich, das ist auch gar nicht gewollt. Ziel muss doch sein, Gesetz und Anwendung des Gesetzes für alle gleich zu halten und in gleicher Weise zu handhaben und allen die gleiche Chance zu gewähren, ihr Recht zu erreichen. Immer wieder treten aber Fälle auf, und wer von uns kennt nicht gleich mehrere solche, wo Recht im Rahmen des Gesetzes nur der durchsetzen kann, der auch die Macht, d. h. letztlich das Geld hat, sein Recht zu erstreiten. Es ist einzusehen, Geld als Regulativ ist in vielen Lebensbereichen unabdingbar, aber dennoch wäre mehr auf die Chancengleichheit zu achten. Das ist eine ständige Aufgabe. Sozial bedeutet mehr als nur gleich.

Wir müssen uns, wie man an den wenigen Beispielen sieht, in vielem mehr auf die Gleichheit der Chancen konzentrieren, nicht auf das Gleichmachen oder Gleichseinwollen. Das Mit-der-gleichen-Chance-Ausgestattete führt zu einem besseren Ergebnis als das Gleichgemachte. Gesetz der Formation! Gleich heißt auf halbem Wege zu gleicher Chance stehen zu bleiben.

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Unendlich wenig weniger nach Kallmes

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Der Ausgangspunkt war, alle Fasern haben die gleiche Chance, in einem der 100.000 Würfel des Blattbildungsraumes zu landen, der ablaufende Prozess ist demnach ein rein zufälliger (truly random). Und wir hatten uns eine einzige Faser im Blattbildungsraum vorgestellt. Mit jeder mehr hinzukommenden Faser wird der Prozess „unendlich wenig weniger rein zufällig“, weil die bereits von einer Faser in einem Würfel eingenommene Position nicht von einer weiteren eingenommen werden kann. Die Fasern beginnen sich mit zunehmender Anzahl von Fasern zu behindern. Aber selbst wenn man sich nun 1 Million Fasern vorstellt, also 10 Fasern pro Würfel, so stören die sich zwar, jedoch so wenig, dass man immer noch beruhigt von einem rein zufälligen Prozess sprechen darf.

Nach Kallmes reicht die so große Menge von 1 Million Fasern gerade aus, um zwei kreisrunde Blätter von 12,5 cm Durchmesser in einem Blattbildner herzustellen. Typische Papierfasern sind, wie zuvor schon erwähnt, sehr dünn und schmal (10 bis 50-tausendstel Millimeter) und haben eine kleine Länge (von 0 bis 4 mm). In dem erwähnten kreisrunden Blatt liegen im Durchschnitt etwa 8 Fasern in der Blattdicke übereinander. Geht man einmal von einer mittleren Faserlänge von 2 mm

aus und reiht alle Fasern des 12,5 cm ø-Standardblattes mit ihrer Längsachse hintereinander auf, dann erhält man eine Strecke von ca. 2 km Länge. Die Fasern eines Blattes von 1 m 2, nämlich 166 Millionen Fasern, aneinandergereiht ergeben eine Strecke von 320 km und die Fasern einer 10 m langen Papierbahn einer 10 m breiten Papiermaschine, nämlich ca. 17 Milliarden Fasern, bereits eine Strecke von 32000 km, also fast einmal am Äquator um die Erde herum.

Man erkennt aus diesem technischen Zusammenhang: gleiche Chance hat etwas mit Freiheit zu tun. Wenn die einzelnen Fasern durch das Vorhandensein anderer Fasern behindert werden, dann kann das nur heißen: behindert in ihrer Freiheit, sich zu bewegen, in ihrer Bewegungsfreiheit. Je weiter die Behinderung fortschreitet, umso mehr ist der Grundsatz der gleichen Chance verletzt, um so schlechter die Formation des fertigen Blattes.

Hier liegt auch die wichtige Regel für die Blattbildung begründet: Will man während der Blattbildung die Formation verbessern, muss man den Blattbildungsvorgang unterbrechen, die Bewegungsfreiheit der Fasern in der Suspension erhöhen und dann schnellstens mit der Blattbildung fortfahren.

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Freiheit: Abstand zwischen Jäger und Gejagtem

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Gleiche Chance hat etwas mit Freiheit zu tun. Der zeitgenössische chinesische Dichter Beidao hat gemeint: „Freiheit ist nur der Abstand zwischen Jäger und Gejagtem“, zwischen Hinderer und Behindertem, Zwischenraum schafft Bewegungsfreiheit. Wir müssen, wollen wir in einer Sozietät leben – und wir können nicht umhin, das zu wollen – wie die Faser durch die Nachbar-Faser Einschränkungen in unserer inneren und äußeren Bewegungsfreiheit in Kauf nehmen, um auch der Nachbarfaser ein akzeptables Maß (möglichst viel) an Bewegungsfreiheit zu belassen; das ist eine absolut logische und dem Prinzip menschlichen Zusammenlebens innewohnende Bedingung.

Kreativ sein kann der Mensch nur aus Freiheit. Das erfordert, immer wieder sorgsam darauf zu achten, das so hauchdünne Gleichgewicht zwischen Freiheit und Beschränkung laufend der Situation angepasst zu halten, immer darauf bedacht zu sein, den Freiraum des Einzelnen unter gegebenen Umständen zu vergrößern.

Je größer die Mobilität der Fasern in der Suspension, umso besser die Formation des Blattes; je größer die Aktionsfreiheit des Einzelnen, umso größer seine Kreativität.

Warum eigentlich so erschreckend wenig Nächsten-Sinn? Ein alter Freund, ein Ordensgeistlicher, hat das einmal so formuliert: „Wenn die Nächstenliebe eine Wurst wäre, kein Hund möchte sie fressen.“ Nächsten-Sinn zu leben, braucht daher unendlich viel mehr Einsatz, als seine Egoismen zu pflegen.

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Geburt des Blattes

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Die Fasern sind nun endlich mit der Suspension im Blattbildungsraum angelangt, in den 100.000 Kuben, rein zufällig verteilt. Jetzt beginnt daraus die Bildung des Blattes, indem das Wasser durch das schon erwähnte Sieb als untere Begrenzung des Blattbildungsraumes nach unten wegläuft. Jede Faser, die vorher in den 100.000 Kuben über dem Sieb geschwebt hat, sinkt nach unten und landet auf dem Sieb unmittelbar unter der Position, auf welcher sie sich in der oberhalb des Siebes befindlichen Suspension befunden hat. Wenn die Verteilung der Fasern in der Suspension rein zufällig war, dann muss auch die Verteilung der Fasern nach Ablage zum Blatt rein zufälliger Natur sein: ein rein zufällig geformtes Blatt, jenes Blatt mit der denkbar besten Formation, die sich vorstellen lässt.

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Unregelmäßige Regelmäßigkeit im Papierblatt

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Und wie gleichmäßig ist nun ein Blatt von denkbar bester Formation? Es ist nicht gleichmäßig und schon gar nicht regelmäßig und auch nicht „gleichmässig“ (genauer: gleichmassig = überall von gleicher Masse). Wenn die Fasern kreuz und quer liegen, aber nur 4 bis maximal 12 übereinander, dann findet man zwischen ihnen Stellen, in denen es keine oder weniger Fasermasse gibt. Stellen, wo mithin das Blattgewicht pro Flächeneinheit niedriger ist, nicht von gleichem Maß und nicht von gleicher Masse.

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Wir hatten vorausgesetzt, dass jede Faser weitgehend volle Bewegungsfreiheit besitzt (gleiche Chance, in einem der 100.000 Würfel zu landen = rein zufälliger Prozess); wenn das so ist, dann muss eine Faser in diese, die nächste in eine andere Richtung, die dritte wieder in eine andere Richtung auf dem Sieb, d.h. im Blatt abgelegt sein, ein Durcheinander also, doch ein „geregeltes“ Durcheinander ohne Regelmäßigkeit.

Ohne Regelmäßigkeit ist physikalisch gesehen nicht ganz korrekt, der Unregelmäßigkeit liegt nämlich eine Regel zu Grunde, und diese Regel ist das Grundgesetz der Blattbildung: gleiche Chance allen Fasern. Alle Abweichungen in diesem Blatt mit denkbar bester Formation sind in ihrer Häufigkeit und in ihrem Ausmaß rein zufällig verteilt.

Jeder, der ein Blatt Papier in die Hand nimmt, hat das Gefühl, das Papier ist gleichmäßig und regelmäßig und hat natürlich überall Fasern oder so etwas ähnliches. Doch das täuscht.

Um eine quantitative Aussage über die nach dem Reinen-Zufall-Prinzip erhaltene und über die in der Praxis tatsächlich erreichbare Gleichmäßigkeit eines Blattes machen zu können, haben H. Corte und O. Kallmes von 25 industriell gefertigten Papierblättern von leichtem Tissue bis zu schwerem Karton das Gewicht von lauter Ein-Quadratmillimeter-Flächen der einzelnen Blätter bestimmt und mit Hilfe der Gewichtsschwankungen die Gleichmäßigkeit bzw. die Ungleichmäßigkeit der einzelnen Blätter ausgedrückt. Dabei fanden sie heraus, dass im Durchschnitt über alle Blätter 77% der durchschnittlichen Ungleichmäßigkeit von den verwendeten Papiermaschinen hervorgerufen wird und 23% durch den Zufälligkeitscharakter des Blattbildungsprozesses. Dieser 23%-Anteil lässt sich selbst mit einer unendlich perfektionierten Blattbildungsmaschinerie nicht vermeiden, weil es in der Natur des Prozesses der Blattbildung auf nassem Wege liegt.

Die beste, d.h. die ideale Formation ist nach den vorangegangenen Überlegungen jene, welche nach dem Prozess der rein zufälligen Faserverteilung erzeugt wird. Dass die industrielle Blattbildung – wie die zuvor genannten Zahlen belegen – so weit vom idealen Ergebnis abweicht, liegt in erster Linie daran, dass die gleiche Chance der Fasern nur teilweise verwirklicht werden kann. Die Anzahl der Fasern ist so groß, dass diese sich gegenseitig stören. Außerdem gibt es in der Strömung der Suspension auf das Sieb so viele Strömungsstörungen, ferner Flockenbildung und vieles mehr, womit sich die Papiermacher herumschlagen müssen. Alpträume auf dem Wege zum Paradies. Qualität hatte schon immer ihren Preis.

Prof. L. Stockmann, Stockholm, hat die beste Formation einmal sehr treffend als die Formation jenes Blattes beschrieben, das über seiner ganzen Fläche aus einer einzigen Flocke besteht.

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Außerirdische Störungen

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Die Störungen, von denen gerade die Rede war, sind Störungen im System, System bedingt, sagt man so schön. Doch manchmal gibt es Störungen in der Formation, die nicht systemimmanent sondern fremd bedingt sind. Es reizt mich, sie einfach außerirdisch zu nennen. So war das jedenfalls in einer bedeutenden Schweizer Papierfabrik gelaufen. Ein Eichhörnchen kam durch ein beschädigtes Fensters an die Papiermaschine, sicherlich in der Absicht, die hohe Kunst des Papiermachens zu erlernen. Doch ob all des Lärms bekam es Angst und floh, ohne die gute Sicht des Erlernens wegen aus dem Auge zu verlieren, auf den Laufsteg vor dem Egoutteur. Papiermacheraugen sehen alles riesengroß, und wenn es nur die Siebmarkierung ist; so wuchs das Eichhörnchen zum Dinosaurier, der gleich durch alle Pressen gezogen würde mit unendlichen Folgeschäden für Pressen, Walzen und Filze. Daher erkletterten sie, die Papiermacher, von beiden Seiten den Laufsteg, um mit langen Armen und noch längeren Händen das Eichhörnchen am Marsch durch die Papiermaschine zu hindern.

Der Schreck war noch größer als ein Dinosaurier. Das Eichhörnchen entging den zwanzig langen Fingern durch einen mutigen Sprung auf das Sieb, klugerweise nicht gegen den Egoutteur, sondern gegen die Laufrichtung, und landete auf schnellem Grund, Papiermacher nennen ihn das Sieb. Eine Schlammschlacht wurde es dennoch nicht, das Eichhörnchen passt sich flugs den neuen Umweltbedingungen an, nahm die Geschwindigkeit von 350 m/min, das war gerade die Maschinengeschwindigkeit, unter die schnellen Füße, immer gegen die Laufrichtung natürlich, und blieb, wie man das in der Mechanik von festen Körper nennt, ortsfest.

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Nun muss es sich im vorliegenden Falle um eine besonders angepasste Eichhörnchenmutation gehandelt haben, denn der vierbeinige Schnell-Läufer schaffte, den schwierigen Gedankensprung richtig umzusetzen, nämlich seiner Bewegung eine kleine Linkskomponente beizugeben, d.h. in Maschinenrichtung blieb es ortsfest, in Querrichtung zur Maschine bewegte es sich langsam nach links. Es erreichte auf diese Weise nach nicht allzu langer Zeit den Siebrand, sprang auf den seitlichen Laufsteg, empfand in diesem Moment, genug vom Papiermachen gelernt und die schwierige Prüfung bestanden zu haben, schlug den Weg zum zerbrochenen Fenster ein und sprang behänd in seine natürliche Umgebung zurück.

Nichts war zerstört; nur die Formation, sie war gestört, mit kleinen, vielen ‚„Eichhörnchenfüßchenwasserzeichlein“. Es hatte sich über die Freiheit der Fasern hinweggesetzt und ihnen seine Stempel aufgedrückt.

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Und was nun mit der Formation?

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Aus all dem, was bis hier über die Formation dargelegt wurde, darf man schließen: es kann schon rein theoretisch nicht möglich sein, ein wirklich gleichmäßiges Papierblatt herzustellen, aber es sollte in näherer oder fernerer Zukunft machbar sein, eine nicht unerheblich bessere Formation als die derzeit in der Papierherstellung erreichbare zu verwirklichen. Wir können uns dem Ideal nur annähern, erreichen werden wir es nie.

Und für das Leben bedeutet dies, wir müssen viel verlangen, damit wir wenig erreichen; viel verlangen, vor allem von uns selbst. Aber weniger für uns als für die anderen. Die Nachbarfasern sind immer zu bedenken.

Im Sinne von C. G. Jung müsste man sagen, wir können auf dem Weg der Individuation, auf dem Weg zu uns selbst ständig fortschreiten, aber wir werden unser wahres Wesen nie ganz erfahren und uns selbst nie ganz erreichen.

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Kein „Filz“ im Papier

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Das Prinzip, welches der Blattbildung zu Grunde liegt, ist das mathematisch-physikalische Prinzip des reinen Zufalls, das angewendete Verfahren, erkenntnistheoretisch sollte man es vielleicht Produktionsform nennen, technisch heißt es eben Verfahren oder Verfahrensprozess, ist die so genannte gesteuerte Filtration. Es sind natürlich auch noch andere Verfahren zur Entfernung von Wasser aus einer Suspension bekannt, z.B. die Eindickung.

Woher weiß man nun, dass die Blattbildung in der Papierindustrie auf der Filtration beruht? Es gibt im Prozess der Blattbildung zwei Hinweise darauf. Der erste Hinweis besteht darin, dass die Konzentration der Suspension während des Blattbildungsvorganges unverändert bleibt; was der Definition der Filtration entspricht; nur im Grenzbereich zum Sieb, dort, wo gerade das Blatt entsteht, nimmt sie laufend zu.

Der zweite und entscheidende Hinweis ist der folgende technische Sachverhalt. Nehmen wir an, eine Faser ist gerade so in einem der 100.000 Würfel des Blattbildungsraumes gelandet, dass ihre Längsachse mit der geometrischen Diagonalen des Würfels zusammenfällt. Das Wasser wird senkrecht zum Sieb strömend durch das Sieb abgezogen, wobei die Strömung die Faser gegen das Sieb trägt. Sie stößt mit ihrem dem Sieb am nächsten liegenden Ende schließlich an das Sieb an, während sie mit dem Rest ihrer Länge, insbesondere mit dem anderen Ende weiterhin frei im Wasser schwebt. Im Zuge der fortgesetzten Strömung wird auch dieses andere Ende schließlich das Sieb berühren, so dass sich dann die gesamte Faser an das Sieb (bzw. an die bereits dort liegenden Fasern) anschmiegt, also in der Siebebene zu liegen kommt.

Das Resultat, die Faser hat sich aus der diagonalen Lage in die Siebebene gedreht. Allen anderen Fasern wird das genau so gehen, jedenfalls den meisten von ihnen, wie B. Radvan herausgefunden hat. Die vorwiegend horizontale Lage der Fasern zufolge ihrer Drehung im Blatt ist die Ursache für den Schichtaufbau eines Blattes.

Aus der Rückschau vom fertigen Blatt aus lässt sich feststellen, wenn immer in einem gebildeten Blatt im wesentlichen ein Schichtaufbau und nicht eine Filzstruktur nachweisbar ist, dann ist der zur Anwendung gekommene Prozess die gesteuerte Filtration gewesen. B. Radvan hat das an vielen Papieren durch Auszählen nachgewiesen und theoretisch erhärtet, dass Schichtaufbau für alle Papierblätter typisch ist; ein Nachweis ausschließlich aus der Rückschau. Aus der Rückschau, ein ganz wichtiges Merkmal des Blattbildungsprozesses.

Die Schichtstruktur setzt die Möglichkeit voraus, dass die Faser in der Suspension auch die genügende Bewegungsfreiheit besitzt, sich im Entwässerungsvorgang zu drehen; Vorbedingung der Filtration ist daher die Bedingung der gleichen Chance, zumindest der annähernd gleichen Chance.

Und kein „Filz“ im Papier, sauber wie die weiße Weste, chlorfrei gebleicht.

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Und zum Schluss

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Viele Aspekte der Formation ließen sich hier noch beleuchten, aber wir wollen hier und heute ja kein Papier machen, nur ein etwas erweitertes Resümee ziehen. Nicht nur die Gedanken über die Blattbildung lassen unschwer deutlich werden, soviel wir auch wissen, es gibt immer noch mehr, was wir nicht wissen, und das wenige, was wir wissen, ist von meist relativem Charakter.

Doch eines wissen wir genau: Papier ist nicht von Pappe. Papiermachen hat‘s in sich; Papiermachen ist eine Kunst, wer wollte das bestreiten, Kunst im Sinne von etwas, das Befähigung und Können verlangt. Der technische Vorgang der Erzeugung eines Papierblattes basiert auf dem Grundgesetz der Evolution, nämlich auf der Nutzung der Gesetze des Zufalls, dem auch wir als Menschen unser Sosein verdanken.

Mit Gunst von wegen‘s Handwerk.

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