Geschichten über die Birs und deren Papierindustrie

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von Fredi A. Simonetti

sph-Kontakte Nr. 102 | Juni 2016

Trauriger Anlass dieser Rückschau ist die Schliessung der Papier­fabrik Ziegler in Grellingen im April 2016. Damit hat auch die letzte Fabrik in dem einst für seine Papier­herstellung bekannten Laufental die ­Produktion eingestellt.

Vorweg ein paar Informationen über den Fluss, an dem einst viel Papier produziert wurde: Die Birs ist über siebzig Kilometer lang, sie entspringt am ‹Pierre Pertuis›. Dieser Berg steht zwischen Delsberg/Delémont, der Hauptstadt des Kantons Jura, und der Uhrenstadt Biel/Bienne. Bei Basel mündet die Birs in den Rhein. Entlang der Birs führte eine für die Römer sehr wichtige Verbindung zwischen Basel und Avenches; teilweise sind heute noch intakte Wegstücke zu sehen. Dank dem starken Gefälle der Birs war es einigen Papierfabriken möglich, firmeneigene Wasserkraftwerke zu betreiben, so Ziegler beispielsweise drei.

Welche Papierfabriken lagen an der Birs, angefangen in Delsberg?

Da ist zunächst die Zellulosefabrik Dozière SA, sie befand sich in Delsberg selbst und wurde 1951 gegründet. Diese Fabrik wurde aufgrund der von ihr verursachten Gewässerverschmutzung 1963 geschlossen; sie verschmutzte die Birs so arg, dass das Trinkwasser kaum noch geniessbar war und Fische oft auf dem Rücken birsabwärts schwammen. Eine richtige Kläranlage konnte oder wollte man sich nicht leisten.

Fünfzehn Kilometer flussabwärts der Zellulose­fabrik lag die 1928 gegründete Papierfabrik Laufen. Sie stand auf dem Areal einer ehemaligen Zementfabrik. (An der Birs gab es früher mindestens vier Zement­fabriken.) Ausser Isolierpapier fabrizierte Laufen keine ‹Spezialitäten›, die das Werk einzigartig gemacht hätten. Das erwies sich als ein Nachteil, als Anfang 1960 die EFTA als europäische Freihandelsassoziation entstand. Dieser gehörten an: Dänemark, Finnland, Grossbritannien, Island, Liechtenstein, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden und die Schweiz. Wegen der EFTA-Freihandelszone kamen die schweizerischen Papierhersteller unter starken Konkurrenzdruck. Österreich, Finnland und Schweden konnten nun ihre günstiger hergestellten Papiere leicht in die Schweiz exportieren. Um die bald schwächelnde Papierfabrik Laufen zu stützen, stieg 1970 der grösste schweizerische Papierhersteller ein: die Papierfabrik Biberist. Diese übernahm auch die Leitung. Doch blieb der Sanierungsversuch erfolglos, und Biberist hat die Papierfabrik Laufen 1972 geschlossen.

Fünf Kilometer birsabwärts produzierte von 1913 an die Holzstoff- und Papierfabrik Zwingen. Das Fabrikgebäude liegt (noch heute) idyllisch auf einer Insel, auf der einen Seite die Birs, auf der anderen der Fabrikkanal. Auf der gleichen Insel befindet sich das Schlossareal Zwingen mit Kapelle und der ab 1248  erstellten Wasserburg, damals noch umflossen von zwei Armen der Birs. Wer mal zwischen Delsberg und Basel unterwegs ist: Ein Besuch lohnt sich.

In den 1920er Jahren baute man eine zweite und in den 1950ern eine dritte Papiermaschine. Zwingen gehörte zu den drei grössten Zeitungspapierherstellern in der Schweiz. 1981 übernahm die Biberholding die Aktienmehrheit und Leitung der Papierfabrik Zwingen. Nach einigem Hin und Her wurde sie im Jahre 2004 geschlossen. Ein Teil der Schuld ist dem Fehlen einer effektiven Abwasserreinigung zuzuschreiben.

Nun zur Ziegler Papier AG in Grellingen: Sechs Kilometer unterhalb von Zwingen steht die 1861 gegründete und damit älteste, bis Ende April 2016 produzierende Papierfabrik der Schweiz, die  ­Ziegler Papier AG.  Wie die Papierfabriken in Laufen und Zwingen betrieb man auch hier in Grellingen pa­rallel eine Holzschleiferei. Sie wurde in den 1960er Jahren stillgelegt. Man spezialisierte sich nun auf höherwertige Produkte aus Zellstoff und Hadern. Die hochwertigen, hadernhaltigen Papiere wurden hauptsächlich von öffentlichen Ämtern, Notaren, Versicherungen und als Direktionspapier verwendet. Eine andere ­Spezialität, das Lochkartenpapier von Ziegler, war weltbekannt und brachte viel Geld in die Kasse. ­Ziegler hatte eine eigene Anlage, um die Lauffähigkeit von Lochkartenpapier auch in der Praxis zu testen. Der dazu eingesetzte Rechner stand in einem Raum von circa vier mal sieben Metern und brauchte zusätzlich ein Kühlaggregat, das nebenan in einem Raum (circa drei mal vier Meter) stand. Die Leistung dieses Computers hatte nicht mal die eines heutigen Mobiltelefons. Doch machte gerade die Weiter­entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung Lochkarten überflüssig. Ziegler gab später auch die kostspielige Aufbereitung von Hadern auf. Andere Spezialitäten wurden hergestellt, darunter Diagrammpapiere, Scheiben für Fahrtenschreiber, Bibeldruckpapier sowie Fotopapiere und Druckpapiere mit präziser Dicke. Trotz dieser diversifizierten Produktpalette, Innovations­programmen und Bemühungen um Effizenzsteigerungen musste der Betrieb im April diesen Jahres die Produktion einstellen.

Sieben Kilometer weiter birsabwärts, kurz vor Basel, gab es die Papierfabrik Stöcklin in Münchenstein. Sie wurde 1877 gegründet und 1981 aufgegeben. Der erste Standort war in Basel am St. Alban-Teich, der als Gewerbekanal von der Birs abgeleitet ist und seit seinen Anfängen der Papierproduktion diente. Der langjährige Betriebsleiter der Papierfabrik ­Stöcklin, Herr Brauchle, war ein sehr innovativer Mann. Er entwickelte die Produktion mit Altpapier weiter und beriet viele Altpapier verarbeitende Firmen. Er entwickelte auch umweltschonende Chemikalien zum Aufbereiten von Altpapier. Dank der verbesserten Herstellungsverfahren des Recycling-Papiers wurde der Bedarf an Frischholz, Wasser und Energie wesentlich reduziert. Herr Brauchle war ein Verfechter von Graupapier (keine Bleichchemikalien).

Mit der Papierfabrik Perlen hat die Schweiz eine der modernsten Papierfabriken Europas, trotzdem schreibt auch diese Produktionsstätte rote Zahlen.

Wer annimmt, die ‹böse› EFTA sei alleine schuld am Sterben vieler Schweizer Papierfabriken, liegt nicht richtig. Die skandinavischen Länder, vor allem Finnland, unterstützen ihre heimische Industrie viel besser, als dies in der Schweiz der Fall ist. Einige Papierfabriken in der Schweiz konnten die strengen Vorgaben des Umweltschutzes nicht oder nur schlecht erfüllen und wurden daher per Dekret (siehe Dozière) geschlossen. Für die benötigten Wasserreinigungsanlagen mussten sie zum Teil Millionen ausgeben; dazu kamen die Unterhaltskosten der ARA und die Kosten für das gereinigte Abwasser. Ein weiterer Punkt ist die Zulieferungsindustrie. Seit der Schliessung der Zellulosefabrik Attisholz ist die Schweiz zu hundert Prozent auf den Zellstoffimport angewiesen. Viele ausländische Fabriken dagegen produzieren die benötigte Zellulose selber und schicken sie ohne Zwischentrocknung direkt in die eigene Papierfabrikation. Auch lohnmässig sind die Schweizer Firmen im Nachteil.

Die Schliessung der Papierfabriken und anderer Industrieanlagen im Birstal hat ganz nebenbei auch einen sehr negativen Effekt auf den Verkehr. Die meisten Arbeitnehmer, die hier im Laufental die Arbeitsstelle verloren haben, mussten sich neu nach Basel hin orientieren und sind zu Pendlern geworden. Das Resultat sind überfüllte Bahnen und Strassen.