IN HOC SIGNUM VENDIT – Profane Kämpfe um die seltsame Ähnlichkeit von Wasserzeichen

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von Nana Badenberg, Basel

sph-Kontakte Nr. 90 | Dezember 2009

Wer sich mit den Auseinandersetzungen um das recht­mässige Führen von Wasserzeichen beschäftigt, die im ausgehenden 16. Jahrhundert markant zunahmen, dem werden neben den allseits bekannten Streitigkeiten zwischen dem Frankfurter Samuel Hiltebrandt und dem Basler Niclaus Heusler vor allem jene Auseinandersetzungen im Allgäuer Raum bekannt sein, die in der Literatur vielfach referiert wurden. Das Dreieck Kempten – Memmingen – Kaufbeuren gehörte seinerzeit zu den bedeutendsten Papiermacherregionen des deutschen Reichs: Allein im Raum Kempten gab es Ende des 16. Jahrhunderts entlang der Iller sieben Papier­mühlen mit zehn Meistern und über dreissig Gesellen; Memmingen und Kaufbeuren verfügten über je zwei Mühlen.

Kaufbeuren, das sich noch heute rühmt – so zumindest eine Gedenktafel an dem frisch renovierten Haus Am Webereck 11 (Abb. 1) –, an der Bleiche von 1312–1840 eine Papiermühle und damit die vermeintlich älteste Deutschlands besessen zu haben, hat weit mehr als mit dieser erst von 1520 an sicher belegten Mühle mit dem sog. Kaufbeurer Vertrag seinen papierhistorischen Ruf gefestigt. Dieses 1586 geschlossene Abkommen der regionalen Papierer sollte einen sich über ein Jahrzehnt hinziehenden und immer wieder aufkeimenden Zwist beenden und den daraus entstehenden Schaden begrenzen, der bei so dicht nebeneinander liegenden Mühlen schon aufgrund des Gesellenboykotts der jeweils gescholtenen Nachbarwerkstätten gross war. Die am 19. Juli 1586 von den in Kaufbeuren versammelten 16 Meistern und 50 Gesellen abgegebene Selbstverpflichtungserklärung baut darauf, dass die zerstrittenen Papierer von Reichsstadt und Stift Kempten, so der Wortlaut des Vertrags, damit ‹widerumb verainigt, verglichen, vertragen und zue gueten freunden und nachbarn gesprochen› werden. Bezüglich der hier vor allem interessierenden Wasserzeichen wird festgehalten, dass Formenmacher ‹allein die redliche maister mit formen machen befürdern, in dem aber auch ein aufmerkens haben und tragen, das mit den zeichen und marken keiner dem andern beschwernus und einträg oder sein zaichen nit nachfieren tue, alles bey verlust ires handwerks.› Eine klare Anweisung wider das Nachahmen fremder Wasserzeichen, die Ende des 16. Jahrhunderts Not tat, denn sonst wäre es wohl nicht zu diesem gross dimensionierten Konvent gekommen.

Doch der Reihe nach: Im Jahre 1573 war es zu einem Streitfall – damals zwischen einem Memminger und einem Kemptener Müller – gekommen, den die Papierer Hans Schreglin und Martin Mair über den Rat ihrer jeweiligen Stadt austrugen. Am 24. Juli reichte der Memminger Rat einen Plagiatsvorwurf Schreglins weiter, der Kotterer Papierer Mair verwende das Memminger Stadtwappen als Wasserzeichen; die Kemptener antworten erst im Oktober und auf eine weitere Nachfrage Kemptens – mit einem zumindest partiellen Schuldeingeständnis Mairs: er habe ‹erst in diesem jahr berirt zaichen uf wenig pappeir gepraucht; aber so weit nit gedacht, dass es was schaden oder nachthail geberen sollte›. Es wird also erst einmal abgewiegelt – ganz wenig nur und sicher nicht mit böser Absicht. Dann aber gehen die Kemptener, Angriff ist bekanntlich die beste Verteidigung, selbst in die Offensive: Schreglin verwende für sein Papier das Wasserzeichen ‹aines gantzen adlers›, und just dieser sei ein Zeichen, welches ‹die pappeirer alhie […] vor lengst und vor vil jarn her gepraucht.› Wenn auch die Kemptener den Adler mit einem Brustschild ‹darin ein K› versahen, so sollte doch Schreglin allgemein auf die Verwendung des ganzen Adlers verzichten. Auf diesen Vorwurf nun reagieren wiederum die Memminger am 23. November, indem sie sich auf die höchste Autorität des Reiches berufen, denn das beanstandete Papier mit dem Reichsadler sei für die kaiserliche Reichshofkanzlei und in deren Auftrag angefertigt worden und zwar sowohl ohne jeglichen Schild als auch mit einem Brustschild, auf dem sich das Memminger Stadtwappen befinde.

Es geht also, soviel lässt sich schnell ersehen, um mindestens drei verschiedene Papiersorten mit den entsprechenden Wasserzeichen. Zunächst einmal um ein sog. Schildlin-Papier mit dem entsprechenden Stadtwappen, einem halben Adler sowie dem Memminger Kreuz bzw. einem K für Kempten; der strukturell ähnliche Aufbau eines gespaltenen Schildes und die formale Nähe von Kreuz und K ist, wie die Abbildung von Schildlin-Papier aus den 1580er Jahren zeigt, durchaus markant. Vor allem aber erschlossen sich insbesondere die Allgäuer Papierer mit diesem Schiltl- oder Schildlin-Papier neue Absatzmärkte im Donauraum, wobei sich das Wasserzeichen allmählich von einem traditionellen Herkunftszeichen zu einem marktförmigen, exportorientierten Sortenzeichen wandelte. Im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts war das Schildlin-Papier als ein verhältnismässig günstiges Papier mittlerer Grösse (Kanzleiformat) das meistverkaufte der Papiererfamilie Schreglin.

Bei den anderen im Streitfall von 1573 zur Debatte stehenden Zeichen handelte es sich um Adler-Wasserzeichen mit und ohne Wappenschild. Letzteres Filigran verwendete Hans Schreglin für Regalpapier, das mit kaiserlichem Privileg und für die Reichshofkanzlei produziert wurde, darüber hinaus, so kann der Memminger Rat am 23. November nicht ohne Stolz vermerken, war ihm von höchster Stelle ‹vergönnt worden, ein ander papeyr mit des reichs adler, doch in der brust desselben mit einem kleinen schiltlin, unser statt Memmingen wappen zu machen›. Filigrane Adler freilich sind in den 1570er Jahren alles andere als eine Seltenheit – Charles Moїse Briquet weist für Kempten bereits in den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts vielfältige Doppeladler mit dem Buchstaben K im Brustschild nach. Das filigrane K könnte in jener Zeit genauso gut für Karbach oder Königshammer stehen, und die Liste der Adlerzeichen mit einem Buchstaben im Brustschild reicht von A wie Augsburg bis W wie Wangen oder Weingarten. Vergleicht man den Schreglinschen Doppeladler und jenen Kemptener, den zumindest von Hössle als Illustration für den Streitfall anführte, so verwundert, wie gering die ikonographischen Ähnlichkeiten sind, ganz abgesehen von dem je unterschiedlichen Brustschild (Abb. 4 und 5). Mag der Ursprungs- oder Herkunftsnachweis trotz aller visuellen Differenzen bei den Adlerpapieren ohne Schild noch schwierig sein, so erlauben die unterschiedlichen Wappen im Brustschild eine eindeutige Zuordnung. Doch, und genau das lässt sich schon der Tatsache der immer wieder auftretenden Auseinandersetzungen der Papiermacher untereinander entnehmen, Zielsetzung und Funktion der Wasserzeichen waren einem grundlegenden Wandel unterworfen. Es ging immer weniger darum, vom Wasserzeichen Rückschlüsse auf den jeweiligen Papierer als einen für sein Produkt haftbaren Urheber zu ziehen (Stichwort: Herkunftsmarke), als vielmehr darum, mit dem jeweiligen Zeichen in umgekehrter Richtung auf den Abnehmer und mithin zu erschliessende Märkte zu zielen (Stichwort: Handelsmarke). Um 1573 waren im Raum Kempten die Mühlengründungen weitgehend abgeschlossen (einzig Ronsberg folgte 1585 nach), die Produktion in bestehenden Werkstätten wurde intensiviert, begann insgesamt aber zu stagnieren. Mit dem immer grösser werdenden Papiermarkt und den zunehmenden und besser ausgestatteten Papiermühlen (von 1500 bis 1600 wuchs die Zahl der Mühlen auf dem Gebiet des alten deutschen Reiches immerhin von 40 auf 240) war im ausgehenden 16. Jahrhundert eine dem Papiergewerbe in dieser Form neue Situation wirtschaftlicher Konkurrenz entstanden. In dem Wandel von und den Händeln um Wasserzeichen findet dieses Wetteifern auf einem verstärkt auch überregionalen Markt anschaulichen Ausdruck. Als Konkurrenten haben die einzelnen Papierproduzenten den gleichen Weg, angesichts des gemeinsamen Ziels allerdings, dem potentiellen Käufer, stossen ihre Interessen aufeinander. Demgemäss sollen ihre Produkte einander möglichst ähnlich sein und doch je ganz anders (und entsprechend käuflicher). Genau dies bringen die Auseinandersetzungen um das Plagiat von Wasserzeichen auch auf der Ebene der bildlichen Mimesis zum Ausdruck: So ähnlich wie möglich, so unterschieden wie nötig – je nach Standpunkt des Streitenden wechselt dabei allerdings die Perspektive. Differenz ist nötig, um sich auf dem Markt als eigenständiger Anbieter zu behaupten, Ähnlichkeit hingegen schafft (echte oder fingierte) Zusammengehörigkeit, eine wie auch immer geartete corporate identity.

Nur folgerichtig, dass die reichsstädtischen Kemptener Papiermüller (und zwar insbesondere die verschiedenen Kotterner Müller) nach dem Streit mit Memmingen Ende 1580 gemeinsam um ein Privileg auf das Führen des Stadtwappens als ihrem Wasserzeichen ersuchten; ein amtliches Schreiben des Stadtrates vom 16. Dezember 1580 bestätigte ihnen ‹Wappen, Schildt und Clainot […] inn und auf dem Pappier, so gemeltte unsere Burger inn iren Werckstötten und Behausungen zue Kottern und allhie zue Kemptten machen und zueberaytten, auch fürohin, wie ain Zeittlang von inen beschenen, für ain Zaichen, unverhindertt meniglich offentlich gebrauchen und füeren sollen und mögen […]› Die verschiedenen Papierer der Reichsstadt zogen also soweit am selben Strang, dass sie das Zeichen nicht als das einer einzelnen Mühle und ihres Müllers schützen liessen, sondern als dasjenige der Stadt und aller dort ansässigen Papiermeister. Nicht länger mühlenspezifisch verankert, verstanden vielmehr als Handelsmarke einer ganzen Stadt, unterstellt sie der filigrane Adler dem Schutz der Obrigkeit. Wappenschild und reichsfreier Doppeladler schaffen auf der Zeichenebene einen heraldischen Zusammenhalt des ehrbaren Handwerks und ersetzen die hermetische Symbolik der alten Hausmarken.

Insofern es auf Reichsebene keine obrigkeitsstaatlich verordnete Handwerksordnung für das Papier­gewerbe gab, kommt dem Bemühen um einen lokalen Verbund, der gemeinsame Interessen wahrnimmt, umso grössere Bedeutung zu. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das Kemptener Adlerzeichen zu jener Zeit noch von reichsstädtischen und reichs­stiftischen Papierern geführt wurde. Die stiftischen, erklärte später der einst im reichsstädtischen Kottern, zur Zeit seiner Aussage schon in Lauingen tätige Papierer Hans Staiger, den eigenen Qualitäts- und Innovations­vorsprung auskostend, hätten lange Zeit nur ‹schlecht Pappier› gemacht und für dieses kein Wasser­zeichen geführt, danach hätten sie den reichsstädtischen Doppeladler auch zu ihrem Zeichen erkoren.

Drei Jahre nach dem den reichstädtischen Papierern gewährten Privileg kam es jedoch zum Streit zwischen den Müllern von Stift und Stadt wegen eben dieses Adlerwasserzeichens, das zu führen die reichsstädtischen den stiftischen Papierern mit einem Mal untersagen wollten. Die städtischen reklamierten nun den Adler als Wappen der Reichsstadt und aufgrund ihrer früheren Nutzung des Wasserzeichens für sich; die stiftischen sollten fürderhin das Bildnis der Hl. Hildegard als Wappen des Stifts auch filigran führen. Dies geschah just zu der Zeit, als mit der gregorianischen Kalenderreform der Lebensrhythmus von reichsstädtischen und stiftischen Papiermüllern gründlich aus dem Takt geriet. Die religiös grundierten Konflikte des Kalenderstreits und ihre Auswirkungen auf Arbeitsalltag und Festtagsordnung mögen angesichts der problematischen exterritorialen Lage der zur reformierten Reichsstadt gehörenden, aber im Hoheitsgebiet des Fürstabts gelegenen Mühlen zu Kottern gerade dort vorhandene technologische und qualitative Unterschiede der Papiermüller verschärft haben. Die Auseinandersetzung eskalierte. Die reichsstädtischen Papiermüller brachen spätestens im Laufe des Jahres 1584 alle Beziehungen zu den stiftischen Papierern ab, die sie ‹als nicht mehr fürdermässig ansahen›, woraufhin diese sich an den Fürstabt Albrecht von Hohenegg wandten, der im Januar 1585 seinen stiftischen Papierern die Order gab, sie sollten die bisher verwendeten Wasserzeichen beibehalten. Aufgrund seiner Oberhoheit über die Kotterner Bürgergüter versuchte der Fürstabt dort die Einigung zu erzwingen. Als dies scheiterte, wurden am 5. März 1585 die städtischen Papierer zu Kottern überwältigt und festgenommen, unter ihnen Hans und Sebastian Staiger, ferner Hans und Baltus Hurrenbein, Abraham Mayr sowie Hans Schachenmayr. Die Stadt wiederum trat ein für ihre Bürger und machte in einem Schreiben deutlich, dass der Abt diesen nichts vorzuschreiben habe in Bezug auf ‹berayttung und verzaychnus des Pappiers›.

Was folgte, war die gerichtliche bzw. rechtliche Aufarbeitung des Streits vor zwei gänzlich unabhängigen Instanzen: dem Papiererkonvent und dem Reichskammergericht. Fachintern wurde der Zwist im folgenden Jahr auf der schon erwähnten in Kaufbeuren abgehaltenen Zusammenkunft der Papierer beigelegt, also innerhalb des ehrbaren Handwerks geregelt. Selbstverwaltung und Autojurisdiktion der Papierer waren schneller, aber auch nachhaltiger wirksam als die Reichsgerichtsbarkeit. Vor dem Reichskammergericht blieb die Streitsache weitere 13 Jahre anhängig, bis sie 1599 erneut aufgerollt und verhandelt, in der Sache jedoch auch dann nicht entschieden wurde.