Was macht ein Elefant in der Papierwerkstatt?

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sph-Kontakte Nr. 93 | Juli 2011

Ein Kurzvortrag von Hanspeter Leibold anlässlich der gemeinsamen Tagung des Deutschen Arbeitskreises für Papiergeschichte und der Schweizer Papierhistoriker im Schloss Beuggen, 30. September bis 3. Oktober 2010

Sehr geehrte Damen und Herren.

Jeder weiss, was ein Elefant im Porzellanladen macht! Aber was macht der Elefant in der Papierwerkstatt? Wird er vielleicht als Stampfwerk zweckentfremdet? Müssen seine breiten Fusssohlen wohl als Glättehammer dienen? Oder wird ihm gar die Haut abgezogen, um daraus Elefantenhautpapier zu machen? Nein, denn die Elefantenhaut ist ein Spezialpapier der Fa. Zanders.

Elefanten haben Format! – Elefanten sind Format!

Wer sich mit alten Papieren schon intensiver beschäftigt hat, weiss, dass es sich beim Elefanten um französische Papierformate des 17. und 18. Jahrhunderts handelt. Aber, reden wir zuerst einmal über den Elefanten selbst!

Gemäss Lexikon handelt es sich dabei um grosse, pflanzenfressende Säugetiere mit dicker Haut, mit mächtigen Stosszähnen und einem Rüssel, der als Atem- und  Greiforgan dient. Unter verschiedenen, anderen Besonderheiten ist folgendes noch zu bemerken: Der Elefant ist ein gewaltiger Fresser, aber ein schlechter Futterverwerter. 150 bis 170 kg Pflanzennahrung benötigt er täglich. Alles stopft er flüchtig kauend in sich hinein: Gras und Wurzeln, Heu, Kräuter aller Art, Buschwerk und Geäst. Dazu trinkt er 70 bis 150 Liter Wasser täglich. Nach einer Verdauungszeit von je nach dem 22 bis 46 Stunden verlassen um die 60 Prozent der aufgenommenen Nahrung den 35,5 m langen Darm unverdaut, nur ca. 40 % werden verwertet. Zum Vergleich, Pferde und Schafe verwerten demgegenüber ca. 70 Prozent.

Der Magen des Einhufers ist im Gegensatz zu dem der Paarhufer stets einfach gebaut und einkammerig. Eine Besonderheit im Verdauungssystem des Elefanten ist der 1,50 m bis 2,00 m lange Blinddarm, der größer ist als der Magen und in dem sich die Hauptmenge der für die Pflanzenverdauung erforderlichen Bakterien der Darmflora befinden. Hier findet die Fermentation statt. Elefanten sind – ähnlich den Nagetieren – Enddarmfermentierer, das heisst, dass die Verdauung grösstenteils erst im kurzen Dickdarm stattfindet. Im Blinddarm und Dickdarm werden auch Eiweiß, Stärke und Zucker verdaut. Die Nahrungsausnützung ist dadurch relativ gering. Soviel zur Anatomie.

Ein Elefant, als Papiergrösse, misst 30 x 24 franz. Zoll, das sind heute 76.2 x 61 cm, und wurde bis zur Einführung des DIN Formates im Jahre 1883 verwendet, das wissen wir bereits. Aber, was macht ein Elefant sonst noch in der Papierwerkstatt? – Mist!

Elefantenmist dient meist zum Düngen und zum Verbrennen. Man kann ihn auch zu Papier machen. Zu diesem Experiment habe ich mir Mist aus dem Zürcher Zoo besorgt. Einzelne Ingredienzen wie Stroh, Heu, Gras oder Holzreste waren im festen, ungleichmässigen und kugeligen Fasergemisch direkt zu erkennen. Eine vorherige Sortierung war nicht möglich und auch nicht nötig.

Auf ein Kochen und Aufschliessen der Fasern zu Zellstoff habe ich absichtlich verzichtet. Die Fermentierung im Magen-Darmtrakt hat es grösstenteils erübrigt. Es erfolgte nur eine mechanische Zerkleinerung und Bearbeitung im Holländer ohne Vorbehandlung. Dabei zeigte sich, dass bei starker Mahlung, etwa Schopper-Riegler 60/70o SR, sich die Fasern zwar sehr gut verbinden, das Papier aber sehr brüchig wird. Durch die Fermentierung sind die Fasern mit ihren Fibrillen wohl zu schwach, um eine grössere Festigkeit zu gewährleisten. Der hohe Anteil von Hemizellulosen, ­Pentosanen, und deren Begleitstoffe, die wesentlich geringere Ketten­­längen besitzen, lassen  nur eine geringe Festigkeit zu.

Die grosse Menge von Hemizellulose wirkt sich so­gar negativ auf das Quellverhalten des eigentlichen Zellstoffes aus. Aufgrund des Fehlens vieler reaktiver Gruppen an den Faserwänden war eine erheblich geringe Blattfestigkeit festzustellen. Das feste Aneinanderliegen der Fasern, als rein mechanischer Vorgang, ist im Verhältnis zur molekularen Bindung durch Wasserstoffbrücken ein schlechter Garant für Festigkeit. Es waren zu viele organische, nicht fibrillierbare und nicht leicht hydrolisierende Begleitstoffe vorhanden. Der rein mechanische Aufschluss ohne Bleichung und  chemischem Aufschluss liess nichts anderes zu.

Stroh, Getreidestroh, hat einen Ligningehalt von 16 bis 19%, einen Zellulosegehalt von ca. 38% und einen Pentosangehalt von 27 bis 32%. Die mittlere Faserlänge beträgt 0.32 bis 0.45 mm. Um dem etwas entgegen zu wirken, habe ich,  in einem weiteren Versuch ca. 10% längere, frische, ungebleichte Zellulosefasern dazugegeben mit einer Faserlänge von ca. 2,6 bis 3,8mm. Nun hatte das Papier die gewünschten, besseren Eigenschaften: es bricht nicht bei der kleinsten Beanspruchung oder beim Falzen, Biegen und Knicken. Den Mahlgrad hatte ich zusätzlich noch auf 40o SR reduziert und dem Stoff eine 5% Neutralleimung durch einen Kaseinleim, hergestellt aus Vollmilch, verpasst.

Auffallend war die lange Entwässerungszeit auf dem Sieb, was auf viele kleine enganliegende,  Partikelanteile ohne Quellung und Fibrillen schliessen lässt. Nach dem Trocknen habe ich die Blätter, die jetzt eine leicht aufgeraute, fast schleifpapierartige Oberfläche besassen, in einem kleinen Glättezylinder geglättet. So lässt es sich gut beschreiben und bedrucken. Die Beschaffenheit aus den verschiedenen Materialien – Holz, Gras, Heu, Blätter etc. – verleiht dem Blatt eine interessante, leicht unebene Haptik. Einzelne kleine Strohpartikelchen, gegen Ende der Mahlung zugegeben, lassen sich im fertigen Blatt noch erkennen und das Blatt leuchten, es lebt! 

Meinen Versuchen habe ich auch die Erfahrung von Jakob Christian Schäfer, dem Pionier im Zusammenhang mit Naturfasern, zu Nutze gemacht. In seinem Büchlein von 1765 schreibt er über seine Strohpapierexperimente als Fazit: «Weil es aber Strohzeug war; so wagte ich es dermalen ohne Lumpenzusatz nicht, und that also den zwanzigsten Theil hinzu».  

Die Papierfabrik St. Denis in Paris stellte im Jahre 1848 Papier ausschliesslich aus trockenem Heu her, das eine Stunde lang in Kalkwasser gekocht und anschliessend «wie Lumpenzeug gemahlen wurde».

In seinem Papiermühlenbetrieb zu Millbanck bei London stellte der Papiermacher Mathias Koops aus Hamburg im Jahre 1800 Papier aus Stroh her. Das Stroh wurde nur mechanisch zerkleinert.

Doch, wie lange lebt das Elefantenpapier?

Eine wichtige Grösse im Zusammenhang mit der Alterungsbeständigkeit ist die Prüfung des Säuregrades. Eine Überprüfung ergab einen pH–Wert von 5. Auf eine Pufferung zur Erreichung eines neutralen Wertes habe ich absichtlich verzichtet, es sollten keine Zusatzstoffe oder Chemikalien verwendet werden. Das Papier darf meines Erachtens keinen allzu hohen mechanischen Beanspruchungen ausgesetzt werden. Durch fotochemische Einflüsse wird es sich mit der Zeit sicherlich verändern, es wird brüchig werden und schon nach wenigen Jahrzehnten starke Zerfallserscheinungen zeigen. Durch die endogenen Ursachen ist die Lebensdauer beschränkt.

Obwohl der Elefantenmist recht frisch war, fiel mir auf, dass er bei den verschiedenen Arbeiten kaum roch, vielleicht ganz wenig nach Heu, Stroh oder Gras. Die Verarbeitung war absolut nicht unappetitlich oder unhygienisch. Der Mist von gesunden Elefanten ist 100% bakterienfrei!

Bei meinem Versuch wurde mir erneut bewusst, wie wichtig Fibrillen und deren molekulare Bindung für die Festigkeit in der Papierherstellung sind. Ein reines Verkleben und Aneinanderliegen von Fasern genügt bei Weitem nicht!

Wie der Elefantenmist eignet sich auch  Mist von anderen Tieren mit vegetarischer Kost zum Papiermachen, zum Beispiel Rossmist oder Mist von anderen Ein­hufern. Probieren Sie es aber niemals mit dem Mist der paarhufigen Kuh; als Wiederkäuer mit vier Mägen werden die Fasern, Gras, Stroh und Heu total verwertet bis schliesslich nur noch Matsch übrigbleibt.

Nun also sind die Elefanten
Neu auch noch Rohstofflieferanten.
Das heisst, Papier ist neu schon Mist
Bevor es je beschrieben ist.

Ich hoffe, dass ich Ihnen einen kleinen Einblick in mein Experiment «Papier aus Elefantenmist» geben konnte und bedanke mich mit einem kleinen Geschenklein für Ihre Aufmerksamkeit.

August/September 2010
Hanspeter Leibold

Abb. 1 Elefantenpapier ohne die Zugabe frischer Fasern

Abb. 2 Elefantenpapier mit Beigabe frischer Fasern