Vorkehrungen gegen den Zahn der Zeit – In der Bibliothek der Musik-Akademie Basel werden historische Notenausgaben mit konservatorischen Massnahmen vor dem Verfall bewahrt

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von Martina Wohlthat

sph-Kontakte Nr. 95 | August 2012

Partiturdruck aus den Beständen der Musikakademie Basel.

Die Basler Musikschule verdankt ihre Entstehung im Jahr 1867 der Initiative des Basler Lehrers und Waisenvaters Johann Jakob Schäublin sowie der Basler Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige (GGG). 1867 kam es, nachdem in Basel bereits eine Kommission für Gesang und Orgelunterricht existiert hatte, zur Gründung einer eigentlichen Musikschule (heute Musik-Akademie der Stadt Basel). Im März 1868 wurde der aus Coburg stammende deutsche Cellist, Komponist und Musikschriftsteller Selmar Bagge zum ersten Direktor der Allgemeinen Musikschule berufen. Zuvor hatte er in Wien und in Leipzig als Redakteur der von Breitkopf & Härtel herausgegebenen Allgemeinen musikalischen Zeitung gewirkt. Durch seine Kontakte zum Verlag Breitkopf & Härtel und anderen Musikverlagen kamen historisch wertvolle Notenausgaben nach Basel, die grösstenteils im Bestand der Bibliothek der Musik-Akademie geblieben sind. Nach Bagges Tod übernahm 1896 der Schweizer Pianist und Komponist Hans Huber das Amt des Direktors. In seiner Direktionszeit wurden die Unterrichtsräume und die Bibliothek in die neuen, weiträumigen Räumlichkeiten an der Leonhardsstrasse verlegt. Diese grosszügige bauliche Lösung erlaubte es, 1905 als Erweiterung der Allgemeinen Musikschule das Konservatorium als erste Berufsschule für Musik in der deutschsprachigen Schweiz zu gründen.

Die Bestände der Bibliothek der Musik-Akademie sind aufs engste mit der Geschichte dieser musikalischen Bildungsstätte verknüpft. Manches, was sich seither in der Bibliothek angesammelt hat, bedarf konservierender Massnahmen, wenn es weiter überleben soll. Die Sammlung mit alten Drucken und Rara umfasst mittlerweile 1800 Notenbände und Bücher. Mit der Einrichtung einer Sondersammlung konnte 2008 begonnen werden. Als erstes wurden historisch wertvolle Noten und Bücher aus dem Freihandbereich der Bibliothek ausgegliedert und dem normalen Leihverkehr entzogen. Sie sind nun nur noch im Lesesaal einsehbar. In den letzten zwei Jahren wurden zweihundert Bände aus dem Rara-Bestand der Bibliothek von der Buchrestauratorin Friederike Koschate-Hennig gereinigt, gesichert und in massgefertigte Schutzverpackungen, angefertigt vom Grafischen Zentrum des Bürgerspitals Basel aus konservatorisch einwandfreiem Material nach DIN ISO 9706, verpackt, die vor Staub, Licht und mechanischen Schäden schützen.

Bibliotheksbände und Schutzverpackungen im Hintergrund. Fotos: Frederike Koschate-Henni

Nach dem Vorbild des Projekts «Konservatorische Massnahmen und Schutzmassnahmen an klassischen alten Büchern» der Abteilung Bestandserhaltung an der Universitätsbibliothek Basel wurden Massnahmen der Konservierung auf die Rara-Bestände der Bibliothek der Musik-Akademie Basel angewendet. An dem zu bearbeitenden Bestand wurde zunächst eine Trockenreinigung der Einbände und der Fälze vorgenommen. Klebebänder über den modernen Signaturschildern wurden wo möglich abgelöst, um die Einbände bearbeiten zu können. Risse in den Seiten wurden mit Japanpapier und Shofou ausgebessert und Knicke geglättet. Schäden an den Einbänden wurden behoben, die Sicherungen farblich angepasst und leicht gewachst. Offene Lederoberflächen wurden mit Methylcellulose geschlossen, abgestossene Ecken und offene Kanten mit Shofou gefestigt. An einigen Bänden, wo restauratorische Massnahmen dringend erforderlich waren, wurden Einzelrestaurierungen vorgenommen. Hier wurde wo nötig der Buchblock komplett gelöst, das Papier gewässert und nachgeleimt sowie die Heftung erneuert. Einige Bände mit stark beschädigtem Einband erhielten moderne Konservierungseinbände. Der Zerfall und ein drohender Informationsverlust wurden gestoppt, die Voraussetzungen für eine sorgsame Benutzung im Lesesaal sind damit in den meisten Fällen wieder gegeben.

Das Projekt zeigt, dass bestandserhaltende Massnahmen auch mit beschränkten finanziellen Mitteln effektiv und nachhaltig durchgeführt werden können. Im Verhältnis zu den anfallenden Kosten ist der Nutzen für die Erhaltung der Bestände auch längerfristig als hoch einzuschätzen. Als Bestandserhaltung wird die Langzeitsicherung von Bibliotheksbeständen bezeichnet, sie umfasst Vorkehrungen, um Kulturgut vor Beschädigung und Verfall zu schützen und für kommende Generationen zu bewahren.

Noten werden in erster Linie zum Musizieren verwendet. Die älteren Ausgaben versehen ihren Dienst seit langer Zeit und zeigen entsprechend starke Abnutzungserscheinungen. Hinzu kommt, dass gerade Noten und Bücher aus der Zeit nach 1850 von Säurebildung und Abbauerscheinungen im Papier bedroht sind. Sie weisen eine schlechtere Papierqualität auf als Druckwerke aus früheren Epochen, die meist auf haltbarem Büttenpapier hergestellt wurden. Dies hängt mit der ersten Industrialisierungsphase in der Papierherstellung zwischen 1830 und 1850 zusammen. Veränderte maschinelle Herstellungsverfahren, Rohstoffknappheit durch den rasch wachsenden Papierbedarf, Ersatz- und Füllstoffe, die Verwendung von Holzschliff und die Leimung des Papiers mit säurebildendem Harzleim führen dazu, dass sich die Papierqualität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Jahrhundertende hin kontinuierlich verschlechtert.

Da Noten aus dieser Zeit meistens ohne Angabe einer Jahreszahl erschienen, spielen bei der zeitlichen Bestimmung die Papierqualität, eventuell vorhandene Wasserzeichen, die verwendete Drucktechnik, die Gestaltung der Titelblätter und die Verlagsnummern eine wichtige Rolle. Bei den auf den Seiten eingedruckten Plattennummern handelt es sich um verlagsinterne Nummern, die dazu dienten, die Metallplatten und lithographischen Steine in einer Ordnung zu halten, damit sie in den Lagerräumen für neue Auflagen greifbar blieben. Die zeitliche Bestimmung einzelner Ausgaben wird dadurch erschwert, dass Erstausgaben und spätere Auflagen häufig dieselbe Plattennummer tragen. Das verwendete Papier, die graphische Gestaltung der Titelblätter, die auf ihnen verzeichneten Preise und Währungen können hier als Unterscheidungskriterien herangezogen werden, um herauszufinden, ob es sich um eine frühe Auflage oder einen späteren Nachdruck handelt. Das ähnelt mitunter einer detektivischen Spurensuche. Als Drucktechniken überwiegen im frühen 19. Jahrhundert der Typendruck und der Kupferstich, während für grössere und preisgünstigere Auflagen bald auch lithographische Techniken zum Einsatz kommen. Hierbei  ist zu beachten, dass nicht eine Drucktechnik die andere komplett abgelöst hat, sondern dass um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Techniken des Kupferstichs und der Lithographie im Notendruck gleichberechtigt nebeneinander stehen.

Für den Aufbau einer historischen Sammlung wurden diejenigen Noten ausgewählt, die wegen ihrer Seltenheit, ihres Alters, ihrer Einbände und ihres Inhaltes etwas Besonderes darstellen. Dazu zählen Erstausgaben, Frühdrucke, Werke mit handschriftlichen Widmungen oder Einträgen bedeutender Persönlichkeiten. Zu den altehrwürdigen Drucken gehören das «Tentamen novae theoriae musicae» des Basler Mathematikers Leonhard Euler, die Schriften des italienischen Musiktheoretikers Gioseffo Zarlino, barocke Kompositionslehren, Partituren der Opern von Christoph Willibald Gluck und Wolfgang Amadeus Mozart, Erstausgaben von Schubert, Schumann, Mendelssohn und Liszt. Auch Handschriftliches findet sich unter den Raritäten wie Kompositionen der Basler Musikdirektoren Ernst Reiter und August Walter, Exemplare mit Widmungen des Pianisten Ferruccio Busoni und des Dirigenten Felix Weingartner. Zu den Kostbarkeiten zählen auch die Partituren, mit denen der Basler Gesangverein Mitte des 19. Jahrhunderts die Passionen von Johann Sebastian Bach und die Oratorien Georg Friedrich Händels aufführte. Sie bezeugen mit handschriftlichen Einträgen, wie engagiert die Wiederbelebung barocker Werke damals gewagt wurde. Kurioses tauchte auf, wie der handgeschriebene Notenband mit Messgesängen, dessen unbeschriebene Seiten später als Rechnungsbuch einer Gastwirtschaft im Laufental weiter verwendet wurden.

Notenbände aus dem Besitz der früheren Direktoren der Musik-Akademie Hans Huber und Felix Weingartner haben Eingang in den Bestand der Bibliothek gefunden. Auch Basler Familien haben Musikalien aus ihrem Besitz an die Musik-Akademie weiter gegeben. Sie erlauben interessante Einblicke in die musikalische Praxis ihrer einstigen Besitzer und Hinweise auf das Musikleben früherer Epochen. Musik ist bekanntlich von Natur aus ein flüchtiges Medium. Durch konservierende Massnahmen kann ihr materieller Niederschlag und etwas von der Aura der Entstehungszeit in den alten Noten bewahrt werden.