Vor 500 Jahren – Papiergeschichte anhand der Amerbachkorrespondenz

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von Peter F. Tschudin, Riehen

sph-Kontakte Nr. 90 | Dezember 2009

Die Basler Universitätsbibliothek ist eine papier­historische Schatzkammer! Unter ihren Manu­skript-Sammlungen nimmt die Amerbach-Korrespondenz aus dem 15. und 16. Jahrhundert eine besondere Stellung ein, umfasst sie doch einen bedeutenden Teil des persönlichen und geschäftlichen Briefwechsels der Buchdrucker- und Gelehrtenfamilie Amerbach. Aus der Fülle des Bestandes seien den Lesern vier Briefe an Johannes Amerbach, den grossen Verleger der Inkunabelzeit, vor Augen geführt, die ein lebendiges Zeugnis der damaligen Alltagssorgen der Papiermacher und Drucker darstellen.

Der erste Brief stammt von Lorenz Jörg, Papiermacher auf der Mühle zu Sennheim im Oberelsass. Der in heutiges Deutsch übertragene Text lautet:

Adresse auf Rückseite:  Dem ehrsamen, weisen Meister Hans, dem Drucker von Basel aus der Kleinen Stadt, jetzt zu Frankfurt an der Messe, meinem lieben Herrn zu seinen Handen.

Text auf Vorderseite:

Meinen freundlichen, willigen Dienst zuvor! Lieber Herr,

Nachdem ich Euch letzthin Papier nach Basel gebracht und Euch gebeten habe, dem Stadtschreiber von Sennheim, wenn er in Frankfurt zu Euch käme, von meinetwegen 15 Gulden zu geben, die ich ihm schulde, bitte ich Euch nochmals, ihm oder demjenigen, der Euch diesen Brief in seinem Namen überbringt, diese 15 Gulden auszuhändigen, denn ich habe sie ihm gar eigentlich zugesagt. Entsprechend will ich Euch dieselben 15 Gulden und die 4 Gulden, die Ihr mir gegeben habt, ehrbarlich vergüten, wie ich Euch zugesagt habe. Gegeben am Dienstag nach Laetare Anno Domini etc. im 97. Jahr. Lorenz Jörg, der Papiermacher zu Sennheim

Dieses Schreiben eines im Schrift­­verkehr versierten Papierers entspricht einer ­Zahlungs­an­weisung und beleuchtet das Geldwesen am Ende des 15. Jahrhunderts. Politische Unsicherheit herrscht, kurz vor dem Schwabenkrieg, allenthalben, und auch an Strauchdieben und Wegelagerern fehlt es nicht. Deshalb versucht man, möglichst wenig bares Geld auf sich zu tragen und die Bezahlung grösserer Summen durch Gut­haben-Verrechnung oder auf schriftliche Anweisung zu tätigen. Unerlässliche Geldtransporte erfolgen unter teurem Geleitschutz oder in Warenpackungen versteckt. Zudem ist beim Einwechseln der vielen lokalen Geldsorten mit grösseren Abschlägen zu rechnen.

In unserem Fall benützt der Papiermacher die gleichzeitige Anwesenheit eines seiner Gläubiger und eines solventen Kunden an der Frankfurter Messe, einem Ort, an dem jeweils auch grössere Zahlungen getätigt werden, um eine Schuld in bar abzutragen. Er kann aber gegenüber Amerbach keine Ver­rechnung beanspruchen, weil dieser offenbar nicht nur, wie damals üblich, die Papierlieferungen bevorschusst hat, sondern ihm sogar mit vier Gulden in Bar ausgeholfen hat.

Wozu diese vier Gulden dienten, lässt sich nur vermuten. Am ehesten käme ein Beitrag an die Transportkosten des Papiers in Frage, die in der Regel zu Lasten des Papiermachers gingen. Jede mittlere oder grössere Papiermühle hielt damals ein eigenes Fuhrwerk, um Hadern, Leim, Brennholz und anderes herbeizuschaffen und um das fertige Papier zum Händler, zu einem Umschlagplatz oder zum Verbraucher zu transportieren. Waren jedoch grössere Papiermengen über weite Entfernungen zu liefern, mussten Fuhrunternehmer verpflichtet werden, die ihren Tarif nach Gewicht, Entfernung, Transportart, Risiko sowie anfallenden Gebühren und Zöllen berechneten. Die mit dem eigentlichen Transport beauftragten ‹Karrer› mussten unterwegs ihre Kosten bar bezahlen, also gewisse Bargeldsummen auf sich tragen. Oft waren die Papiermacher nicht in der Lage, ihnen diese Summen auszuhändigen, oder man versuchte, wegen des Raubrisikos das Bargeld zu minimieren. So wurde es üblich, dass die Fuhrleute am Ziel vom Empfänger der Ware nicht nur ein ‹Trinkgeld› erhielten, sondern auch einen Geldbetrag für die Kosten der Rückfahrt.

Den im Schreiben erwähnten Betrag hat Amerbach in Frankfurt dem Stadtschreiber von Sennheim ausbezahlt, wohl in der Hoffnung auf eine künftige Verrechnung mit einer Papier­lieferung. Jörg verstarb jedoch bald danach. Amerbach wollte diese nicht unbedeutende Schuldsumme von dessen Erben einfordern und gelangte an das Basler Schult­heissengericht. Dieses ermächtigte ihn am 8. Februar 1500, dem Papiermacher Burkart von Thann eine gerichtliche Vollmacht ausstellen zu lassen, um dieses Guthaben in Sennheim einzutreiben. Dass er sich damit nicht an einen Vertreter der Obrigkeit in Sennheim oder Thann wendet, sondern an einen Papiermachermeister, könnte mit den damals geltenden, grenzüberschreitenden ‹Gebräuchen› der Papiermacher als freies Handwerk zusammenhängen. Diese bestimmen, dass in allen die Ausübung des Handwerks berührenden Fällen, auch in der Regelung der Nachfolge und des Nachlasses eines verstorbenen Papierermeisters, ein regional einzuberufender ‹Tag› der Meister und Gesellen zu entscheiden habe.

Das Schreiben aus Sennheim ist aber noch wegen einer anderen Einzelheit von Interesse. Es besteht aus dem Abschnitt eines Folio-Bogens, und am Schnittrand ist ein Wasserzeichen zu erkennen. Dabei handelt es sich um ein Kreuz das in Anbetracht der Stellung in der Kettfeld-Mitte kaum als selbständige Marke betrachtet werden darf, sondern den obersten Teil eines Wasserzeichens bildet. Weil es sich bei genauerem Betrachten als Malteserkreuz erweist, finden sich in den Repertorien nur wenige Beispiele: für das gotische P, für den Ochsenkopf und für den Dreiberg. Vorausgesetzt, Jörg habe eigenes Papier für seinen Brief benutzt, wäre damit die Zuschreibung dieses Wasserzeichens zur Sennheimer Papiermühle möglich. Zu bedenken ist aber, dass Piccard den Gebrauch eines kleinen Malteserkreuzes als Eigenmarke für den Raum Bayern/Donau für die Zeit um 1540 nachweist. Nun ist der Geschlechtsname ‹Jörg› nicht oberrheinisch; so liesse sich allenfalls eine familiäre Beziehung zu Baden-Württemberg oder Bayern vermuten. Hier sei noch eine weitere Vermutung angefügt: Da Sennheim in der fraglichen Zeit durch die Habsburger an die Markgrafen von Baden-Hochberg verliehen war, könnte Amerbach das für seine Augustin-Ausgabe von 1506 verwendete Papier mit dem Ritterwappen der Markgrafen von Baden aus Sennheim bezogen haben.

Auch der zweite und der dritte der hier vorgestellten Briefe stammen aus dem Elsass, und zwar aus der Papiermühle von Erstein (südlich Strassburg). Absender ist ein weiter nicht bekannter, ungelenk schreibender Papiermacher Albius, dessen Name eine der Gepflogenheit der Zeit entsprechende latinisierte Form des Familiennamens ‹Wyss› oder ‹Weiss› darstellen könnte.

Dieser Brief lautet in Übertragung:

Adresse auf Rückseite: Dem freien, vornehmen Meister Hans, Drucker, dem älteren, meinem lieben Herrn zu Basel in der Kleinen Stadt.

Text auf Vorderseite: Meinen freundlichen, willigen Dienst allzeit.  Lieber Meister Hans in der Kleinen Stadt Basel: ich sandte Euch wiederum 23 Ballen Papier an die Summe, und Ihr habt <bereits> für 45 <Ballen> an die Summe. Will ich Euch 100 Ballen liefern, fehlen noch 32. Nun will ich Euch von Stund an, wenn mein Wagen hierhin zurückkommt, <weitere> 23 Ballen schicken. Noch bleiben 9 Ballen; die will ich Euch auch bald senden. Darum, lieber Meister Hans, mag ich dabei nicht bestehen. Ich müsste mit meinen Kindern verderben. Wollt Ihr aber den Karrer oder Fuhrmann bezahlen, will ich Euch die 400 Ballen machen mit guter Gewähr, wie Ihr sehen werdet, und damit Ihr ein gutes Genügen haben sollt; und prüft Ihr das Papier eben wohl, könnt Ihr wohl merken, dass ich dabei nicht bestehen kann, und lasst mich eine Antwort wissen durch diesen Boten oder erst wenn Ihr mögt. Gott gebe Euch allzeit Gesundheit! Gegeben am St. Urbanstag im 9. Jahr. Euer williger Albius von Erstein der Papiermacher etc.

Demnach hatte Amerbach 1508 mit Albius einen Vertrag über die Produktion von 400 Ballen guten Druckpapiers, davon 100 lieferbar im Frühjahr 1509 und bar bevorschusst, franko Haus, abgeschlossen. Diese für eine einzelne Mühle ungewohnt grosse Menge konnte Albius, der einen ‹klassischen› Familienbetrieb führte, offenbar nicht in der gewünschten Zeit produzieren, wenn er die Qualität nach Amerbachs Vorschrift halten wollte. Zudem belasteten Mehrkosten sein Budget dermassen, dass er mit dem von Amerbach bezahlten Vorschuss nicht mehr ‹über die Runden› kam. Deshalb sah er sich gezwungen, Amerbach zu schreiben, er könne den geltenden Vertrag aus Termingründen nicht einhalten und nutzte die Gelegenheit, Amerbach auf die drückenden Vertragsbedingungen aufmerksam zu machen und neue Bedingungen zu verlangen. Gleichzeitig erfahren wir, dass der Planwagen des Albius jeweils mit 22 bis 23 Ballen (rund 1 t) beladen werden konnte.

Aus dem nächsten Brief des Albius können wir die Antwort Amerbachs erschliessen. Dessen Text lautet in Übertragung:

Adresse auf Rückseite: Dem freien, vornehmen Meister Hans, Drucker, in der Kleinen Stadt Basel, meinem lieben Herrn.

Text auf Vorderseite:  Meinen freundlichen willigen Dienst.  Lieber Meister Hans: Nachdem Ihr mir geschrieben habt, ich solle Euch 50 oder 40 Ballen machen <und> nachdem Ihr mir ein Muster gesandt habt, will ich von Stund an dafür sorgen und solches Papier machen bis Michaelis, denn ich arbeite mit zwei Bütten etc. Und ich sende Euch 15 Ballen, und habe noch wohl 30 Ballen, <die> will ich Euch schicken sobald ich kann, und Ihr sollt dem Karrer 12 Schillinge zur Wegzehrung geben. Ich will zu Euch kommen so bald es mir möglich ist, wenn es besser Friede wird. Gott sei mit Euch! Gegeben auf Mittwoch vor Johannis zur Sonnwende im 9. Jahr.

Albius Papiermacher zu Erstein etc.

Amerbach hat also in seiner Antwort die Qualitätsfrage in den Vordergrund gestellt und mitgeteilt, er benötige bis zum 29. September 40 bis 50 Ballen Druckpapier in einer einem beigelegten Muster entsprechenden Qualität. Gleichzeitig scheint er Albius angeboten zu haben, mit ihm persönlich in Basel über die Bedingungen des Liefervertrags sprechen zu wollen. Albius wiederum hat für seinen Betrieb folgenschwere Konsequenzen gezogen, um seinen Grosskunden nicht zu verlieren: er investierte in eine zweite Bütte und war somit in der Lage, täglich mindestens einen ganzen Ballen Papier herzustellen. Dies ermöglichte ihm, den Terminwünschen Amerbachs nachzukommen. Auch über die Frachtkosten scheint man sich geeinigt zu haben. Amerbach war bereit, dem Karrer des Albius das für die Rückfahrt nötige Zehrgeld zu geben. Schliesslich erwähnt Albius in seinem Brief nochmals die kriegerischen Auseinandersetzungen, die damals das Elsass ganz direkt betrafen.

Leider enthalten die beiden Briefe – es handelt sich ebenfalls um Bogen-Abschnitte – kein Wasserzeichen. Auch ist über die Papiermühle von Erstein nichts bekannt.

Geld-, Qualitäts- und Terminfragen bilden den Schwerpunkt auch des vierten hier vorgestellten Briefs. Diesen hat kein Papiermacher, sondern ein versierter Papierhändler in Eile geschrieben: Friedrich Prechter aus Strassburg. Sein Inhalt lautet in heutigem Deutsch:

Adresse auf Rückseite:  Dem ehrsamen, weisen Meister Hans Amerbach, zu Basel, meinem günstigen Herrn und guten Freund

Text auf Vorderseite: Gelobt sei Gott! zum 17. Dezember 1501 in Strassburg

Meinen willigen Dienst allzeit zuvor! Lieber Meister Hans, wisset, dass ich Euch 9 Ballen Median-Papier und ein Fässlein sende, in welchem sich 10 Ries Median-Papier befinden. Und Ihr werdet auf einem Ries<paket> <eine> Nr.1 finden; darin findet Ihr 200 Gulden guten Geldes. Diese sende ich Euch von Herrn Anton Kobergers wegen. Ebenso mehr werdet Ihr in dem Fässlein einige Bücher aus Pergament zusammengebunden finden, die er mir ebenfalls gesandt und geschrieben hat, sie Euch zu senden. Lieber Meister Hans, wollt Nachsicht haben des Papiers wegen. Ich hoffe, sofern das andere Papier Euch <noch> nicht zugekommen sei, werde es Euch bald zukommen. Hiermit seid Gott befohlen!

Datum wie oben. Friderich Prechter.

Amerbach hatte eben den Druck eines weiteren Teils der von Koberger finanzierten Bibelausgabe mit den Postillen des Hugo von St. Cher abgeschlossen und plante für den Beginn des Jahres 1502 den Druck der letzten Teile des umfangreichen Werks. Koberger hatte, wie auch bei anderen Basler Drucken, an denen er beteiligt war, das erforderliche Papier bei Prechter bestellt und vorausbezahlt. Die Lieferungen sind – offenbar wegen der auf den Schwabenkrieg folgenden Wirren – jedoch verzögert worden. Da Amerbachs Verständnis vorausgesetzt werden durfte, ist die Entschuldigung sehr kurz gehalten. Eine Teil-Lieferung von 10 Ballen Papier benutzte Prechter dazu, im Auftrage Kobergers eine grössere Abschlagszahlung in Goldgulden an die Druckkosten der Bibel zu übermitteln und die von Amerbach für die Vorbereitung seiner Augustin-Gesamtausgabe sehnlichst erwarteten Manuskripte beizufügen.

Der Brief ist ordnungs­gemäss gesiegelt. Das Siegel Prechters zeigt eine typische Handels­marke, nämlich ein Kreuz mit beigefügten Stützbalken. Dies erinnert uns an Wasserzeichen, die nicht nur als Papierermarken, sondern ebenso sehr als Händlermarken gedeutet werden können. Das in seiner oberen Hälfte im Briefpapier enthaltene Wasserzeichen entspricht einem Ochsenkopf-Typ, der am Ende des 15. Jhs. in der Freigrafschaft, den Vogesen und dem Elsass nachgewiesen ist.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die alltäglichen Sorgen der Papiermacher, Papierhändler und Drucker sich in den fünfhundert seit dem Schreiben dieser Briefe verflossenen Jahren kaum verändert haben. Nach wie vor geht es um Finanzierung, Produktionsbedingungen, Papierqualitäten, Transport- und Terminprobleme. Wer in unserer gestressten Gegenwart möchte da eine so genannte ‹gute, alte Zeit› vorziehen?