Untersuchung der Wasserzeichen und deren Relevanz für die Beurteilung des Sammelkonzepts einer Handschrift um 1450

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von M.Geissbühler und G.Dietz

sph-Kontakte Nr. 104 | Juli 2017

Im Rahmen eines Forschungs- und Dissertationsprojektes an der Universität Bern in Zusammenarbeit mit dem Centre for the Study of Manuscript Cultures in Hamburg (CSMC) und der Bundesanstalt für Materialforschung und –Prüfung in Berlin (BAM) wurden kodikologische Untersuchungen mit der Tintenanalyse1 und der Wasserzeichenkunde2 zur Erforschung einer Handschrift kombiniert. Dabei wurde der komplexe Entstehungsprozess des zwölf literarische und (pseudo-)historiographische Texte umfassenden Codex germanicus 6 (Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. germ. 6) rekonstruiert mit dem Ziel, eine solide Basis für die Beurteilung des aussergewöhnlichen Sammelkonzepts der Handschrift zu gewinnen. Beim Cod. germ. 6 handelt es sich um eine 614 Seiten umfassende Papierhandschrift, die um 1450 von einem gewissen Jordan für den Eigengebrauch verfasst wurde. 3 Die Schreib sprache (Rheinfränkisch), die Spiegelblätter und ein Kaufvermerk aus dem 16. Jahrhundert auf der ersten Seite der Handschrift legen Speyer als Entstehungsort nahe. 4 Das für die Handschrift verwendeten Papiere zeigen fünf Wasserzeichen, die alle eine Variante eines Ochsenkopfs zeigen. 5 Sie sind folgendermaßen im Cod. germ. 6, dessen Lagenformel (VI+1) 13 + 13 VI169 + VII183 + 7 VI267 + VII281 + VI293 + (VI+2)307 lautet, verteilt: 6

Die Anordnung der Texte in der gebundenen Handschrift entspricht nicht der Reihenfolge ihrer Niederschrift: Die Lagen 1–23 und 25 zeigen abgesehen von zwei Ausnahmen die Wasserzeichen 1 und 2. Die Lage 24 verfügt über die Wasserzeichen 4 und 5. Letztere muss später entstanden sein, da der Text Sultansbrief Abul Nasr direkt an das Ende des Wigalois (drittletzte Seite von Lage 23) anschließt und auf der fünften Seite von Lage 24 endet. Zudem zeigt der Duktus der Texte König Artus’ Horn, Luneten Mantel und Personenlisten Krönung Friedrich III., dass dieselben in die bereits gebundene Handschrift ergänzt wurden. 7 Darüber hinaus hat die materialwissenschaftliche Untersuchung der im Cod. germ. 6 verwendeten Tinten gezeigt, dass es sich bei dem Kurztext zu Artus um den letzten in der Handschrift niedergeschriebenen Text handelt. 8 Folglich sind der Parzival, der Wigalois und Lage 25, die zunächst in sich abgeschlossene Einheiten bildeten, am Anfang des Entstehungsprozesses der Handschrift anzusetzen. 9 Aus den Datierungen in den Kolophonen geht hervor, dass der Parzival vor dem Wigalois niedergeschrieben wurde. Weitere Informationen liefert das einzige Doppelblatt der Handschrift, welches das Wasserzeichen 3 trägt und als einziges über keinen vorgezeichneten Schriftspiegel verfügt. Es befindet sich in der Mitte von Lage 23, der letzten Lage des Wigalois. Zu diesem Wasserzeichen 3 lässt sich über das Bernsteinportal10 ein sehr ähnliches Wasserzeichen nachweisen, das für den Zeitraum «1420/1430» belegt ist. Vermutlich hatte Jordan bei der Niederschrift der letzten Lage des Wigalois kein Papier mehr mit den Wasserzeichen 1 und 2 zur Verfügung und ergänzte das Doppelblatt mit dem Wasserzeichen 3, damit im Wigalois Text- und Lagenende übereinstimmen. 11 Folglich dürfte der Wigalois nach dem Parzival und Lage 25, der bei der Bindung ein Doppelblatt mit dem Wasserzeichen 4 umgebunden wurde, niedergeschrieben worden sein. Ob der Parzival oder Lage 25 zuerst entstanden ist, muss offen bleiben.

Obwohl sich keine identischen Wasserzeichenbelege zur Papierverwendung nachweisen ließen, gab es zahlreiche ähnliche WZ-Belege aus einem für eine solch umfangreiche Handschrift relativ engen Papierverwendungszeitraum (zwischen 1448 und 1452). Die an der Handschrift vorgenommenen Untersuchungen bestätigten sowohl die in der Handschrift genannten Daten der Fertigstellung des Parzival (2. Februar 1451) und des Wigalois (nach dem 11. November 1451) als auch die unmittelbar zeitlich zusammenhängende Entstehung. Zudem unterstützt das Resultat, dass das Doppelblatt mit dem Wasserzeichen 3 mit grosser Wahrscheinlichkeit älter als das restliche im Cod. germ. 6 verwendete Papier ist, die Vermutung, dass der Wigalois nach dem Parzival und Lage 25 entstanden ist. Dieser Befund ist von grosser Relevanz für die Beurteilung des Sammelkonzepts der Handschrift, denn er zeigt auf, dass die drei Teile bei der Bindung nicht in der Reihenfolge angeordnet wurden, in der sie entstanden sind: Lage 25 wurde, obwohl sie vor dem Wigalois entstanden ist, am Ende des Codex platziert. Darüber hinaus wurde ihr bei der Bindung ein zusätzliches Doppelblatt, das ein anderes Wasserzeichen (WZ 4) zeigt als die ‹ursprüngliche› Lage (WZ1 und WZ2), umgebunden, was Lage 25 zusätzlich von anderen Lagen abtrennt. Folglich sind die drei Texte auf Lage 25 als eigenständige Texteinheit zu betrachten, die nicht mit den restlichen neun Texten verbunden ist. Die Bedeutung dieses Befunds für die Beurteilung des Sammelkonzepts des Cod. germ. 6 wird in der Dissertation von Mirjam Geissbühler, die voraussichtlich 2018 publiziert wird, ausführlich behandelt.

Anmerkungen

1 Die Tinten wurden mittels Mikoröntgenfluoreszenanzanalyse (μ-RFA) untersucht.
2 Die Untersuchungen fanden im Zeitraum Januar bis Mai 2017 statt.
3 Auf den Seiten 365 und 560, am Ende der beiden umfangreichsten Texte der Handschrift (Parzival Wolframs von Eschenbach und Wigalois Wirts von Grafenberg), befindet sich jeweils ein Kolophon. Darin nennt der Schreiber seinen Namen, das Datum der Fertigstellung des jeweiligen Textes (2. Februar 1451 und Mo cccc vnd Lj iar nach Martini episcopi, also nach dem 11. November 1451) und weist beide als seinen Besitz aus.
4 Vgl. Putzo, Christine: Cod. germ. 6, in: Von Rittern, Bürgern und Gottes Wort. Volkssprachige Literatur in Handschriften und Drucken aus dem Besitz der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Hg. von Eva Horváth und Hans-Walter Stork. Kiel 2002, S. 64-67 und 136-141, hier S. 66f. und Anm. 162. Darüber hinaus zeigen mehrere Texte im Cod. germ. 6 Verwandtschaften mit Texten in zwei Handschriften, die in Speyer entstanden sind (Kolmarer Liederhandschrift [München, Staatsbibliothek, Cgm 4997] und die Twinger-Handschrift in Halle [Privatbesitz Philipp Fürst zu Stolberg-Wernigerode, Hirzenhain, Cod. Zb 2]. Vgl. http://historischer-verein-speyer. de/html/?p=469 (letzter Zugriff: 11.7.2017).
5 Die Wasserzeichen sind entsprechend der Reihenfolge ihres Auftretens im Cod. germ. 6 nummeriert.
6 Blatt 613f. klebte bis zur letzten Restauration des Cod. germ. 6 im Jahre 1967 auf dem hinteren Spiegelblatt.
7 Darüber hinaus wurde in der ersten Lage ein Blatt (Seite 5/6) eingefügt, damit die beiden Meisterlieder vor dem Anfang des Parzival Platz finden.
8 Vgl. Rabin, Ira/Hahn, Oliver/Geissbühler, Mirjam: Combining Codicology and X-Ray Spectrometry to Unveil the History of Production of Codex germanicus 6 (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg), in: manuscript cultures 7 (2014), S. 126–131.
9 Darauf weisen kodikologische Untersuchungen der Handschrift in Kombination mit der materialwissenschaftlichen Analyse der Tinten im Cod. germ. 6 hin. Näheres dazu findet sich im Aufsatz Advanced Codicological Studies of Codex germanicus 6: Part 2 (Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek) von Mirjam Geissbühler, Georg Dietz, Oliver Hahn und Ira Rabin, der 2017 in der Zeitschrift manuscript cultures erscheinen wird.
10 Das Bernsteinportal ist eine Metasuchmaschine über die zurzeit 33 Wasserzeichendatenbanken mit derzeit mehr als 240.000 Belegen recherchiert werden können (www.memoryofpaper.eu).
11 Dafür spricht auch, dass die letzte Lage des Wigalois sieben anstelle der in der Handschrift regelhaften sechs Doppelblätter aufweist. Dasselbe trifft auf die letzte Lage des Parzival zu. Auch hier dürfte Jordan ein Doppelblatt ergänzt haben, damit Text- und Lagenende übereinstimmen. Allerdings lässt sich dies nicht an den Wasserzeichen nachvollziehen, da ihm zu diesem Zeitpunkt noch zahlreiche Doppelblätter mit den Wasserzeichen 1 und 2 zur Verfügung standen.