Über Würmer und Menschen – William Blade’s Streitschrift wider die Bücherfeinde liegt nach über einem Jahrhundert auf Deutsch vor

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von Nana Badenberg, Basel

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sph-Kontakte Nr. 96 | Dezember 2012

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«Bücher haben genau wie Menschen einen Körper und eine Seele» (99), sie haben einen Charakter – manche haben sogar «einen schlechten Charakter und zerkratzen die Gesichter all ihrer Nachbarn» im Regal (120). Die Seele der Bücher, ihr geistiger Gehalt, erschliesst sich erst beim Lesen; und das nur, wenn ihr Leib intakt geblieben ist. Um das leibliche Wohl insbesondere der oftmals geschundenen und miss­achteten alten Bücher und Frühdrucke ist es ­William Blades zu tun. In dem schlanken und süffig zu lesenden Bändchen berichtet dieser englische Bibliomane des 19. Jahrhunderts vom Schicksal der Bücher, von dem, was ihnen materialiter beim Transport auf hoher See oder an ihrem angestammten Platz in privaten oder öffentlichen Bücherschränken widerfährt. Denn die Bücher, von denen hier die Rede ist, sind grösstenteils Opfer: Opfer der Flammen und der Fluten, der Hitze ausgesetzt oder in verwahrlosten Bibliotheken vernachlässigt, von sorglosen Geschäftsleuten verhökert, von Fanatikern zerstört oder von Schädlingen zerfressen. Eines stirbt gar «im Kinderzimmer den Märtyrertod» (123).

Blades benennt ganz konkrete Fälle: von der frühchristlichen Verbrennung magisch-heidnischer Schriften in Ephesus über das Schicksal der englischen Klosterbibliotheken während der Reformation bis hin zum Ende der Strassburger Bibliothek, die die Deutschen während des 1870/71er Krieges in Schutt und Asche legten. Anteil nehmend ist sein bibliophil-glossierender Stil immer, eindringlich werden seine Schilderungen, wenn er als Augenzeuge berichtet, etwa vom «schrecklichen Anblick» der «verkohlten» Bücherreihen nach dem Brand der Offor Collection (37). Erbarmungslos sammelt Blades Geschichten, benennt die Orte und Täter; vieles entstammt – zumindest in der zweiten Auflage des Bandes – auch Briefen von Zeitgenossen, die ihm ‹ihre› Geschichten zusandten. Vom erbärmlichen Zustand der Wolfenbütteler Bibliothek wird ihm da berichtet, der «eine bleibend Schande für Deutschland» sei (44), wenn er den Tatsachen entspreche, aber auch von einer 1494 gedruckten Boccaccio-Bearbeitung, die von einem Händler zerschnitten und «zum Einpacken von Tabak und Schnupftabak benutzt» wurde (71).

Ebenso konkret wie die geschilderten Schadensfälle ist die Beschreibung der verschiedenen Schäden selbst – die zersetzende Wirkung des Regens auf die «Papiersubstanz» etwa führe im Extremfall dazu, dass diese «auf eine weisse Masse reduziert» werde und schliesslich «zu Puder» zerfalle (43). Stockflecken kommen zur Sprache, die Frage, wie man richtig abstaubt, die Nachteile von Glastüren an Bücherschränken, da sie der Schimmelbildung zuträglich sind, aber auch der Schwefelgehalt von Gaslampen, der die Ledereinbände angreife. Dass diese dann zum Buchbinder müssten, besiegele oftmals das Schicksal der Bände. Denn: «Das Glaubensbekenntnis eines Buchbinders ist äusserst kurz und besteht aus einem einzigen Paragraphen, und dieser Paragraph besteht aus nur einem einzigen abscheulichen Wort, nämlich ‹beschneiden›.» (49)

Der grösste Feind der Bücher, soviel ist sicher, ist die menschliche Ignoranz: Neben den blindwütigen Buchbindern sind es spielende Kinder, unsachgemäss staubwischende Hausfrauen, achtlose Bibliothekare und «barbarische Sammler», die irreparable Schäden an dem Kulturgut Buch anrichten. William Blades nennt die Täter, die beispielsweise Kolophone, Frontispize oder Titelblätter herausschneiden und so zwar bemerkenswerte Sammlungen anlegen, aber verstümmelte Bücher zurücklassen. Einer von ihnen ist «Bagford, der Biblioklast», der Anfang des 18. Jahrhunderts durch das Land reiste und Titelblätter aus seltenen Werken «herausriss»; seine Trophäen füllen «100 Folio-Bände» in der British Library und zeugen mehr noch als von der Geschichte des englischen Buchdrucks von dessen Zerstörung. Ausgerechnet John Bagford ist in dem opulent ausgestatteten englischen Original, das schon im Jahr seines Erscheinens, 1880, eine Zweitauflage auf Papier mit Lilienwasserzeichen von van Gelder erlebte, auf dem Frontispiz zu sehen. Eine Aufforderung an den Leser, hier selbst biblioklastisch tätig zu werden?

Ganz besondere Aufmerksamkeit widmet Blades einem kleinen, aber vermeintlich hartnäckigen Feind der Bücher, der zudem in vielerlei Gestalt Auftritt: dem Bücherwurm.  Blades ist auch hier ein scharfer Beobachter, der vor allem seinen Augen und dem gesunden Menschenverstand traut. Er kritisiert frühere, fehlerhafte Darstellungen der selbst von Insektenforschern eher vernachlässig­ten Tierchen, listet die ihm bekannten Arten von Raupen und Larven auf und erzählt gar von eigenen – leider gescheiterten – Zuchtversuchen. Ein in einer Schachtel mit einigen Boethius-Fragmenten gehaltener Wurm stirbt ihm nach drei Wochen und auch zwei aus Griechenland importierte Tiere müssen bald schon «inniglich betrauert» werden (86f.). Die Verwüstungen, die Bücherwürmer in einem 1477 gedruckten Schöffer-Band angerichtet haben, schildert Blades gar als ein Wettrennen – nur zwei der Tiere halten bis auf Seite 81 durch. Für seine Gegenwart gibt Blades schliesslich Entwarnung: «Da modernes Papier nicht mehr unverfälscht hergestellt wird, geht der Wurm nicht mehr dran. Sein Instinkt verbietet ihm, Chinarinde, Bleichmittel, Pariser Kleister und Bariumsulfat zu verzehren, die heute unter die Fasern gemischt werden.» (91f.) Ob die Larven sich daran halten oder nicht längst angepasst haben, sei dahingestellt. Dass Frühdrucke auf jeden Fall genüsslich verspeist wurden, belegte schon in der Originalausgabe eine eingeklebte Woodburytypie, die zwei weitgehend zerfressene Seiten eines Caxton-Druckes zeigt (Abb.).

Mag auch naturgemäss nicht alles von dem, was Blades im ausgehenden 19. Jahrhundert zusammentrug, auf dem neuesten Wissensstand sein, treffend und in dubio pro libelli sind seine Bemerkungen allemal. Besorgt und übersetzt hat die erste deutsche Ausgabe dieser lesenswerten kleinen Streitschrift Hektor Haarkötter. Ihm ist auch ein ausführliches Vorwort zu verdanken, dass die einst überaus populäre Schrift in das Schaffen des bibliophilen, typographiehistorisch engagierten Druckers William Blades einordnet und den Bogen in die Gegenwart schlägt: Die oft als Bedrohung des Buches wahrgenommenen elektronischen Medien erweisen sich selbst als bedroht – von Gewittertierchen etwa, die sich als Bildstörung ins Display schleichen, oder vom Menschen in seinem zuweilen verzweifelten Kampf mit der Technik. Das schön ausgestatte, durchgängig zweifarbig gedruckte Bändchen der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, ist übrigens auch als E-Publikation auf dem Markt – für jene Leser wohl, die sich die Beschreibung des bedrohten materialen Erdendasein von Büchern gerade nicht mehr in haptisch-greifbarer Form einverleiben wollen und auf ein komplettes, da fertig gedrucktes papiernes Exemplar der Spezies Buch verzichten.

William Blades: Die Bücherfeinde. Über Feuer und Wasser, Gas und Hitze, Staub und Vernachlässigung, Ignoranz und Engstirnigkeit. Herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Hektor Haarkötter. Darmstadt: WBG, Primus Verlag. 136 Seiten, Gebunden, 14.90 €

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