Technische Spezialpapiere
von Martin Kluge
sph-Kontakte Ausgabe Nr. 107| Januar 2020
Abb. 1 Wassertropfen perlen auf Nanopapier einfach ab.
einst und heute
Hören wir das Wort «Papier», denken die meisten von uns wohl zuallererst an ein Schreibmaterial und den Schriftträger. Doch Papier kann weit mehr, als nur der Schrift als Untergrund zu dienen: Tagtäglich haben wir mit Papieren auch im Haushalt, auf der Toilette, in der Bank, beim Arztbesuch oder in den Modeboutiquen zu tun. Dieser Artikel ist eine Lobeshymne auf die Vielseitigkeit des Papiers.
Prolog
Sprache ist etwas Wundervolles! Sie ist so reich an Differenzierungsmöglichkeiten und Ausdrucksformen. Mit ihrer Hilfe lassen sich in unserem Kopf präzise Bilder erzeugen und sogar den Eindruck einer bestimmten Haptik oder eines Geschmacks hervorrufen. Nehmen wir z.B. das Wort «Regen»: Unsere Sprache hält eine Vielzahl an Ausdrücken bereit, die Regen weiter ausdifferenzieren. So etwa Schauer, Niederschlag, Gewitter, Platzregen, Wolkenbruch, Sturzregen, Guss, Dusche, Nieseln, Frühlingsregen, Schneeregen, Sprühregen, Eisregen oder Graupel. Wir können sagen, es nieselt, tröpfelt, schüttet, sprüht, giesst, schifft, pladdert, plätschert, prasselt, rieselt, strömt oder trieft.
Angeblich, so sagt man, hätten die Inuit sogar mehr als 100 Wörter für Schnee zur Verfügung! Doch es gibt auch Situationen, in denen die Sprache versagt. Nehmen Sie zum Beispiel das Wort «Liebe». Hierfür haben wir nur ein einziges Wort und es gelingt uns kaum, das Gemeinte in Worten zu umschreiben. Ähnlich ist es auch mit «Papier». Unser Sprachschatz stellt uns keine Alternative zur Verfügung. Lediglich mit beschreibenden Adjektiven können wir uns aushelfen, um zu sagen, welche Art Papier wir meinen. So kann Papier mal durchsichtig sein, mal opak. Mal ist es weiss, mal bunt, mal dick, mal dünn. Als Teebeutel ist es offenporig und wasserdurchlässig, als Backpapier absolut wasser-, öl- und fettdicht. Je nach Situation muss es extrem reissfest sein, oder in Sekunden von selber zerfallen (wie etwa das Toilettenpapier in Wasser). Mit einigen technischen Tricks lässt sich die Hitzebeständigkeit erhöhen (z.B. beim Backpapier) oder die Glimmzeit verlängern (beim Zigarettenpapier). Diese Vielseitigkeit erlaubt es, dass Papier als technischer Werkstoff heute in Transistoren, Überlandleitungen und Transatlantikkabeln zu finden ist, oder tagtäglich als Laminat unter unseren Füssen.
Papiere der Zukunft: Nanopapier
Schon heute hat Papier aufgrund seiner Vielseitigkeit eine riesige Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten. Es gibt fast keinen Lebensbereich, in dem Papiere nicht in irgendeiner Form eingesetzt werden. Und dank Nano-Technologie wird es in Zukunft auch möglich sein, Papieren ganz neue und untypische Eigenschaften zu geben, die für uns heute vollkommen unvorstellbar sind. Ermöglicht wird dies durch sogenannte Nano-Partikel, welche die Grösse von rund einem 50’000-stel des Durchmessers eines menschlichen Haares besitzen. Und deren Herstellung ist durchaus papierähnlich: Proteine werden zuerst bei Hitze in saurer Lösung denaturiert, wodurch Proteinfäden mit hydrophoben Fibrillen entstehen. In einer wässrigen, feinen Dispersion können sie weiterverarbeitet werden, ähnlich bei der Herstellung von normalem Papier aus Cellulose. Versuche in diese Richtung begannen um 2008. Damals brachten einige Anbieter wie Nanoconcept Produkte mit Fasern auf den Markt, die mit Nanopartikel versiegelt waren. Diese Textilien sollen absolut schmutzresistent sein. Kaffee, Rotwein oder Ketchup laufen an ihnen ab, ohne irgendwelche Flecken zu hinterlassen.
Was ursprünglich für Textilfasern entwickelt wurde, haben Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) auch auf Papier über- tragen. Sie haben ein Nanopapier entwickelt, das einen oder zwei Monate im Wasser liegen kann und dennoch absolut trocken ist, wenn es herausgezogen wird. Während das Wasser einfach abperlt, werden hydrophobe Verunreinigungen im Wasser aufgenommen. Dank der sehr guten Kapillarwirkung des Hightech-Geflechts ist es so geglückt, eine Art Löschpapier für Ölkatastrophen zu entwickeln. Bis zum 20-fachen des eigenen Gewichts kann dieses Nanopapier an Wasserverunreinigungen wie Mineralöl aufnehmen. Vielleicht wird es zukünftig eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Umweltkatastrophen spielen. Doch damit nicht genug: Weil die Nanofibrillen auch bei sehr hohen Temperaturen stabil sein sollen, könnte das aufgefangene Öl durch Verdampfen später aus dem Werkstoff sogar noch zurückgewonnen werden.
Abb. 2 Dank Nanotechnologie stabil wie Eisen!
Ein anderes, von der Universität Kassel entwickeltes Nanopapier soll dank Titandioxid-Partikeln Bakterien und Mikroorganismen in der Luft neutralisieren, beispielsweise also mit Formaldehyd verseuchte Luft dekontaminieren. Aus diesem Nanopapier könnten nach Angaben der Entwickler auch Tapeten oder Lampenschirme entstehen, die sich beispielsweise in Operationssälen einsetzen liessen.
Schwedische Wissenschaftler haben wiederum ein extrem reissfestes Papier entwickelt, indem sie Zellulosebrei mit Enzymen und unter hohem Druck zu Nanofasern verarbeitet haben. Das anschliessend zu einem dünnen Film vergossene und unter Zugabe von Lösungsmitteln getrocknete, äusserst dünne Papier hat eine Zugfestigkeit, die sich mit derjenigen von Gusseisen vergleichen lässt und als Trägermaterial für Computerchips eingesetzt werden könnte.
Werden einzelne dieser Blätter zu einem Stapel aufeinandergeschichtet, entsteht ein Nanopapier, das rund 500mal fester als Eisen ist, aber nur 1/10 von dessen Masse besitzt. Mit diesen Eigenschaften ist es ideal für die Herstellung ultraleichter Schusswesten und Körperpanzerung, oder für die Konstruktion in der Luftfahrt. Wer weiss, vielleicht werden wir in ein paar Jahrzehnten in Papierfliegern in die Ferien verreisen!?
Einen ganz anderen Ansatz verfolgten Wissenschaftler der Stanford University (Kalifornien). Ihnen ist es 2009 geglückt, Zellulosepapier mit ausgerichteten Kohlenstoff-Nanoröhrchen zu bedrucken, sodass es als Batterie eingesetzt werden kann. Im Gegensatz zu konventionellen Batterien funktioniert diese Papierbatterie problemlos auch bei Temperaturen von -73 oder +150° C. Bereits heute generiert sie eine Spannung von 12.5 V und weist eine Ladung von 1800 mAh auf.
Wie man an diesen Beispielen sieht, sind der Phantasie keine Grenzen mehr gesetzt, wenn es darum geht, dem Papier die ungewöhnlichsten Eigenschaften zu verleihen. Die Einsatzbereiche scheinen grenzenlos.
Papiere in der Vergangenheit: die Alleskönner
Zwar staunen wir, was heute mit Papier alles möglich ist. Doch sind diese Ideen, mit Papier weit mehr zu machen, als nur darauf zu schreiben, so alt wie das Papier selbst: Schon 1390 fertigte Ulman Stromer in Nürnberg, in der ersten Papiermühle im deutschsprachigen Raum, ein Schrenzpapier an, das als Packpapier verwendet wurde. Einige weitere Beispiele für Papieranwendungen aus der Vergangenheit seien hier kurz vorgestellt:
Papierfenster
Bereits 1412, also schon bevor es in der Schweiz eine eigene Papierproduktion gab, wurde im Rechnungsbuch der Stadt Basel der Gebrauch von «Schrenzpapir zer ratsstuben venstern» vermerkt. Bei diesen papierenen Fensterscheiben handelt es sich wahrscheinlich um gewöhnliches Schreibpapier, das mit Leinölfirnis transparent und mit Mastix wetterfest gemacht wurde. Auch in Zürich lässt sich 1697 ein «papyr zu den fensteren auf dem rathaus» nachweisen.
Noch in dem 1738 erschienenen Werk von J. J. Rembold1 lässt sich folgende Anweisung nachlesen: «Allerhand Arten, Papierne Fenster zu machen, von unterschiedlichsten Farben auf italienische Manier».
Papierpatronen
Feuer und Papier sind bekanntlich eine diffizile Kombination. Umso herausfordernder war das Entwickeln eines Schiesspapiers, das mit dem Aufkommen der Musketen benötigt wurde. Seit dem frühen 17. Jahrhundert trugen die Musketiere die für einen Schuss abgemessene Pulverladungen in einem Papierchen zusammengerollt und zusammen mit dem Projektil in ein Holzröhrchen gesteckt an ihrem Bandelier.
Zum Abfeuern eines Schusses musste ein Teil des Pulvers in die Zündpfanne des Radschlosses gegeben werden. Der grössere Teil wurde alsdann als Treibladung von vorne in den Lauf geschüttet, das Projektil eingeführt und schliesslich zur Abdichtung das Papier im Lauf festgestopft. Diese Praxis, Patronen aus Papier zu machen, blieb noch bis in die 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts bestehen und wurde selbst noch bei den ersten Hinterladergewehren beibehalten. Noch in einer preußischen Dienstanweisung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts heisst es: «… beißen soll der Kerl, bis er das Pulver schmeke.». Auch die Patronen des klassischen Colts, den wir aus den Western kennen, waren bis in die 1860er-Jahre aus Papier!
Abb. 3.1: Ein Musketier aus der Zeit des 30-jährigen Kriegs. Aus: Jacob de Gheyn: Waffenhandlung, 1629. Foto: Wikipedia.
Abb. 3.2: Drei Papierpatronen für den Colt-Perkussionsrevolver um 1860. Foto: Wikipedia.
Die Aufgabe des Papiers bestand nun darin, das Schiesspulver vor Feuchtigkeit, aber auch vor Funkenflug zu schützen. Gleichzeitig musste es sehr dünn sein. Zur Fertigung der Patronenpapiere schreibt Johann Krünitz in seiner Oeconomischen Encyclopädie: «Außer dem gewöhnlichen schlechten Papier, welches man zu Patronen für Musketen verarbeitet, hat man auch sogenanntes unverbrennliches Papier dazu erfunden, welches seinen Zweck wesentlich besser erfüllt, als ersteres. Man kann sich auch dieses unverbrennlichen oder schwer verbrennbaren Papiers bedienen, um Dinge von Werth, Kontrakte zum Beyspiel, vor dem Verbrennen zu sichern. […] Die Art der Zubereitung dieses Papiers ist sehr einfach. Es wird weiter nichts dazu erfordert, als daß man Alaun mit drey Theilen Wassers auflöset, gewöhnliches Papier zweymahl in das mit diesem Salze geschwängerte kochende Wasser eintaucht, und es hernach trocknen läßt. Wenn dieses Salz, welches unverbrennlich ist, sich über die ganze Fläche des Papiers hinzieht, so macht es dieses gewissermaßen unverbrennbar.»2
Selbstreinigende oder selbstschreibende Papiere
Eine weitere Möglichkeit, Papier feuerfest zu machen, bestand darin, der Papiermasse Asbestfasern beizumischen. Das zerstampfte Mineral lässt sich in eine baumwollähnliche Struktur bringen, die in Wasser aufgeschwemmt zusammen mit der Papiermasse verarbeitet werden kann. So entstanden bereits im 18. Jh. absolut unbrennbare Papiere. Eine mögliche Anwendung dieser Papiere findet sich wieder einmal bei J. J. Rembold: Er beschreibt ein «Asbestpapier, welches sich offt beschreiben, und hernach so offt mans ins Feuer wirfft, von dem geschriebenen reinigen lässt».3
Unter den Papier-Kuriositäten, die Rembold seinem Leser präsentiert, ist auch zu lesen, dass «Madame Coulon in Paris jetzt Papier verkauft, das besonders für Reisende nützlich ist. Man kann darauf mit einer gewöhnlichen Feder, die man mit Wasser oder Speichel benetzt, unauslöslich und so schwarz wie mit Tinte schreiben». Leider kennt Rembold keine technischen Details zu diesem Papier. Er spekuliert lediglich, dass dieses Papier wahrscheinlich mit sehr feinem Tintenpulver überrieben worden sei.
Wie wir sehen, scheint es für Rembold keine Grenzen zu geben, Papier überall im Alltag einzusetzen. Er empfiehlt sogar vollen Ernstes, was man tun soll, «wann man keine Brat-Pfanne hat», nämlich «so kann man machen, dass sich die Fische in einem Papier braten lassen».4
Neue Möglichkeiten dank Industrialisierung
Wie wir gesehen haben, begann man schon recht früh, Papier als Alleskönner einzusetzen. Doch mit Aufkommen der Industrialisierung steigen die technischen Möglichkeiten sprunghaft an. So schrieb Dr. W. A. Rüst bereits im Jahr 1838: «Ausser der ausserordentlich grossen Menge von Papier, welches zum Schreiben benutzt wird, dient noch eine ungleich grössere Quantität desselben zu verschiedenen Papierarbeiten, zu Papierbordüren, zu Pappbereitungen, zu bunten und gepressten Papieren, zur Fabrikation von Tapete und der Spielkarten, zu Kupferstichen, zu Steindrucken und ganz besonders noch zum Drucken der Bücher. Selbst Kleidungsstücke, Halsbinden, Hüte, Vorhänge, Draperien und mehrere dergleichen mehr oder weniger bemerkenswerthe und nützliche Gegenstände fertigt man aus Papier an».5
Aus dieser Fülle sollen hier nur drei Beispiele dazu exemplarisch dargestellt werden.
Papierkragen
Ende der 1860er-Jahre macht sich die aus Amerika kommende Mode breit, Hemdkragen aus Papier zu tragen, anstatt solche aus Stoff zu nehmen, die man mühevoll waschen, stärken und glätten muss. Allein eine einzige Fabrik – allerdings die bedeutendste Fabrik in Deutschland – stellte um 1874 täglich 400’000 Stück Kragen, 100’000 Stück Manschetten und 30’000 Stück Vorhemdchen her. So berichtete es zumindest die beliebte Zeitschrift «Die Gartenlaube»6. Lange scheint dieser Modehype allerdings nicht gedauert zu haben.
Abb. 4 Werbung für Papierkragen
Carl Hofmann beschreibt in der Erstausgabe seines «Praktischen Handbuchs der Papierfabrikation » von 1873 den aus Amerika aufkommenden Trend und widmet ein ganzes Kapitel diesen «Kragenpapieren ». Doch bereits 1897 musste Carl Hofmann in der zweiten Auflage seines Werks berichten, dass die Verwendung der Papierkragen stark abgenommen habe. Um 1930 beträgt die Produktion nur noch ein Viertel der einstigen Grösse. Trotz absterbendem Ast hält Walter Hess fest: «Die Fabrikation von Papierwäsche […] ist ein sehr umfangreicher Industriezweig geworden, allerdings auf eine kleine Anzahl Unternehmen beschränkt. […] Papierwäsche besitzt deutliche Vorzüge: sie ist blendend weiss, genügend fest, ohne je steif zu sein […] – immerhin ist sie gut an Stelle von Wäsche aus Geweben zu verwenden, und wird sich auch immer im Gebrauch erhalten, solange der Preis sich unter oder gleich mit dem Waschlohn hält.»7
Interessant sind auch die technischen Details, die Carl Hofmann für die Produktion dieser dicken und schwammigen Papiere verrät: Die Kragenpapiere wurden auf Papiermaschinen gefertigt, in denen Bahnen von drei Rundsieben auf einem einzigen Nassfilz vereint und anschliessend in der Trockenpartie getrocknet wurden.
Traktoren-Zündpapier
Eine andere technische Anwendung von Papieren aus dem frühen 20. Jahrhundert ist heute nur noch Oldtimer-Fans bekannt: Bevor sich Zündkerzen durchsetzten, wurden Autos und Traktoren mit Zündpapieren gestartet. Je nach Modell wurde es angezündet, fest in einen Luntenhalter gesteckt und in den Verbrennungsraum eingeführt. Dort sorgte es so für die Vorwärme der Luft bzw. für die Entzündung des Kraftstoffes. Es gab aber auch selbstzündendes Traktoren-Zündpapier, das bei der Verdichtung ähnlich Zündhölzchen zu brennen begann.
Abb. 5 Dieselzündpapier Zündfix
Nachtlicht-Papier
Ein auf dem Nachttisch brennendes, sicheres Licht konnte dank einem Spezialpapier billig und einfach realisiert werden: In ein beliebiges Trinkglas (z.B. Weinglas) füllt man einen Bodensatz Wasser. Dann wird der Rest des Glases mit einem beliebigen Öl aufgefüllt und eine kleine Pappscheibe mit Docht oben auf das Öl gesetzt. Dank Papierchen schwimmt der Docht auf dem Öl. Die Kerze kann nun brennen, bis das Öl verbrannt ist und der Docht das Wasser erreicht hat. So erlischt das Nachtlicht gefahrlos von selbst. Das Spezialpapier muss hierzu besonders gut geleimt, schwer entflammbar und leichter als Öl sein.
Geradezu endlos liesse sich die Liste der Spezialpapiere, die im 19. Jahrhundert entwickelt wurden, erweitern. So beispielsweise das Räucherpapier, das unter dem Namen Papier d’Arménie erstmals 1888 auf der Pariser Hygienemesse und ein Jahr später auch auf der berühmten Pariser Weltausstellung erfolgreich präsentiert wurde. Noch heute wird es in derselben Fabrik an der Peripherie von Paris hergestellt, ohne dass sich an der Produktionsweise etwas grundlegend geändert hätte. Papier d’Arménie (Armenisches Papier) ist ein Räucherpapier, dessen Rauch antiseptisch, geruchsneutralisierend, luftreinigend wirkt. Für die Herstellung werden Benzoe (dem nach Weihrauch riechenden Harz von Storaxbäumen) und weitere Zutaten wie Vanille in 90%-igem Alkohol gelöst und auf das Papier aufgetragen.
Abb. 6 Nachtlichter aus Papier
Carl Hofmann beschreibt Kalanderwalzen, die aus gestanzten Papierscheiben zusammengesetzt wurden; oder ein Elfenbeinpapier, bei dessen Herstellung einzelne Papiere zu Platten verleimt werden, sodass sie hart, glänzend und wie Elfenbein strukturiert sind. Auch Dachziegel fertigte man aus Pappe, «welche man wie Schiefer auf einen sehr leichten Dachstuhl nagelt».8 Die Pappziegel wurden zur Festigung in Gips getränkt und abschliessend mit Teer wasserdicht gemacht. Nicht zuletzt wurde ein Nähnadel-Papier gepriesen, das nicht roste. Kritische Zeitgenossen stellten allerdings fest, dass doch Papier aus Lumpen sei und weder Stahl noch Eisen in Leinenlumpen rosteten, hingegen industrielle Nähnadeln in Maschinenpapier zu rosten begännen. Dem Nähnadelpapier wurde deshalb extra Graphit zugegeben, um dies zu vermeiden.9
Abb. 7 Presse zur Herstellung von Kalanderwalzen aus Papier. Aus Carl Hoffmanns Handbuch der Papierfabrikation, 1897.
Epilog
Aus der Sicht der Restauratoren stellen die technischen Papiere – vor allem diejenigen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – eine grosse Herausforderung dar. Durch ihre technische Verwendung haben sie oft viele Gebrauchsspuren und sind in entsprechend schlechtem Zustand erhalten. Bei ihrer Herstellung wurden oftmals chemische Zusätze verwendet oder eine bestimmte Oberflächenbehandlung angebracht, die eine raschere Alterung der Papiere begünstigte. Aber gerade diese chemischen Zusätze sind sehr schlecht dokumentiert, ebenso wie die spezifische Herstellungsweise, so dass wir heute kaum etwas darüber wissen. Alte Architekturzeichnungen auf Pergaminpapier beispielsweise sind oft sehr brüchig. Sie lassen sich aber schlecht restaurieren, denn die typische Opazität verändert sich beim Aufbringen von Leim, und ein dezentes Verstärken der Papiere mit Japanpapier ist fast nicht möglich. Auch bei Musikrollen für Welte-Mignon-Selbstspielpapiere wäre die technische Funktion nicht mehr gewährleistet, würde man Risse in der Papierrolle mit Japanpapier schliessen.
Für den Papierhistoriker stellt sich vor allem die Frage nach der zur Herstellung benötigten Maschinen. Die wenigsten von ihnen sind erhalten. Vielmehr kennen wir die Spezialmaschinen, wenn überhaupt, dann nur aus Beschreibungen in alten Handbüchern. Der zusätzlich benötigte Maschinenpark muss aber gigantisch gewesen sein. Zum Teil wurden dafür ganze Gebäude errichtet. War beispielsweise für die technische Anwendung eine gute Leimung notwendig, so mussten die Papiere langsam an der Luft getrocknet werden. Bei einer zu schnellen Trocknung und einem zu zügigen Entwässern auf den Trockenzylindern wäre die Leimung wieder aufgebrochen. Entsprechend riesig mussten daher die Maschinen ausfallen, um Rollenpapier oder Bögen in der Maschine zu trocknen.
Unser kleiner Spaziergang durch die faszinierend vielseitige Welt der technischen Spezialpapiere zeigt: Papier ist ein Alleskönner, gerade was seine technische Anwendbarkeit und Alltagstauglichkeit betrifft. Und seine Geschichte ist noch lange nicht zu Ende erzählt.
Anmerkungen
1 J. J. Rembold: Das Nützliche und künstliche Papier, Oder Ausführliche Beschreibung Dessen Eigenschafften, Arten […], Berlin und Leipzig 1738.
2 Johann Georg Krünitz: Oeconomische Encyclopädie, Band 106 (1807), S. 748.
3 J. J. Rembold, S. 100.
4 J. J. Rembold, S. 117.
5 Dr. William A. Rüst: Papierfabrikation und die technische Anwendung des Papiers, Berlin 1838, S. 92.
6 Vgl. «Leipzigs Industrien. Nr. 2. Ein überwundenes Vorurtheil in einer Bagatellsache.», in: Die Gartenlaube (1874), S. 377f.
7 Walter Hess: Die Praxis der Papier-Verarbeitung. Praktisches Handbuch, Berlin 1930, S. 119.
8 Louis Piette, Handbuch der Papierfabrikation. Aus dem Französischen von Dr. Carl Friedrich Alexander Hartmann. Quedlinburg und Leipzig 1833, S. 184.
9 Nach J. C. Leuchs Darstellung der Verbesserungen in der Verfertigung des Papiers 1828.