LÄNGST KLASSIKER – Ausstellungen und Publikationen zur Typografie der Bauhaus-Ära

Artikel als PDF herunterladen

von Nana Badenberg

sph-Kontakte Nr. 106 | Juli 2019

Abb. 1: Andruck einer Reproduktion für Jan Tschicholds Artikel «noch eine neue schrift» (1930)

Sein Vater war Schildermaler, und schon der 16-Jährige machte in Kladden kalligrafische Studien, bevor er 1919 in der Schriftklasse von Hermann Delitsch das Studium an der Leipziger Akademie der Künste aufnahm. Schnell wurde er zum Meisterschüler Walter Tiemanns und feierte bald darauf erste berufliche Erfolge. Ein Besuch beim Bauhaus 1923 liess ihn die neue Typografie entdecken und hatte katalysierende Wirkung. Auf sein Manifest «elementare typografie» (1925) folgten Versuche, eine neue, rationelle Schrift zu entwerfen (Abb. 1), die auf Kleinschreibung setzte und komplexere Laute und Endungen radikal zusammenzog.

Die Rede ist von dem Typografen und Buchgestalter Jan Tschichold (1902–1974), dem das Deutsche Buch- und Schriftmuseum in seiner Heimatstadt Leipzig dieses Jahr – auch aus Anlass des Bauhaus- Jubiläums – eine Ausstellung widmet. 2015 hat das Museum den umfangreichen ‹ Arbeitsnachlass› Tschicholds übereignet bekommen, sodass man über reichlich Material verfügt, das Wirken dieses «Jahrhunderttypografen», wie es im Titel mit einem markanten roten Fragezeichen versehen heisst, zu würdigen. Tatsächlich ist das Werk Tschicholds enorm vielfältig. Es reicht von grundlegenden schrift- und buchgestalterischen Entwürfen über die je spezifische Umsetzung von Plakataufträgen und Akzidenzien bis zu historisch-methodischen Überlegungen zur Typografie als solcher. Hier trat er mit Büchern wie «Die neue Typographie» (1928, noch einem neusachlichen Stilwollen verpflichtet) und «Typographische Gestaltung» (1935, bereits stärker auf ‹klassische› Buchgestaltung ausgerichtet) hervor.

Die Ausstellung im Deutschen Buch- und Schriftmseum stellt die verschiedenen Facetten vor: Die Schriftentwürfe Tschicholds – von den frühen, die er für die 1925 eingeführte Uhertype Fotosatzmaschine entworfen hat, bis zur klassischen Sabon – sind als Lichtbilder und in Form von abreissbaren, informationsgespickten Schriftproben präsent. Die stilistische Entwicklung hingegen wird entlang der Hängung unterschiedlichster Entwürfe, Typoskripte und Korrekturbögen sinnfällig. Dank des gewählten biografisch-chronologischen Ordnungsprinzips kann man das Werk Tschicholds Jahr um Jahr abschreiten; die durchaus heterogenen Materialien entwickeln so den Sog individueller lebens- und arbeitsgeschichtlicher Zwangsläufigkeit.

Abb. 2: Katalog zur Ausstellung «der berufsfotograf» im Basler Gewerbemusum (1938)

Dabei zeigt sich allerdings, dass sich die biografische Zäsur, die 1933 durch die Emigration aus dem Nazi-Deutschland eintrat, gestalterisch erst allmählich auswirkte. Tschichold selbst begründete seine Abkehr von der funktionalen Gestaltung und den Entwürfen plakativer Akzidenzien politisch, korrumpierten doch die Nazis die moderne Gestaltung, indem sie sie für ihre Propaganda nutzten. (1963 sollte er sich selbst gar als «typographischen Moralisten» bezeichnen.) Dass Tschichold fortan als ‹Klassiker› auftrat, mag jedoch auch der Tatsache geschuldet sein, dass er sich nun vermehrt der Buchgestaltung zuwandte. 1933 liess er sich in Basel nieder, wo er zu einer wichtigen Figur der sich entwickelnden ‹Schweizer Typografie› wurde und zunächst bei Benno Schwabe, später dann für den Birkhäuser Verlag arbeitete. Der nun von ihm propagierte ‹neue Traditionalismus› ist etwa auf 1937/38 zu datieren. In einem Brief bezeichnete er das in Regenbogendruck und radikaler Kleinschreibung gestaltete Plakat, das er 1938 für die im Basler Gewerbemusum stattfindende Ausstellung «der berufsfotograf» schuf (Abb. 2), als sein letztes. Im Sinne der neuen Typografie mag das stimmen. 1943 lobte Tschichold den bis heute bestehenden Wettbewerb «Die schönsten Schweizer Bücher» aus. 1946 ging er dann für einige Jahre nach London, wo er für den Relaunch der Penguin Book- Reihe verantwortlich war und über das neue Layout hinaus auch ein Handbuch mit Anweisungen für die Ausstattung (Abb. 3) sowie diverse Werbematerialien entwarf. Zurück in Basel war er in den 1950er-Jahren zunächst freischaffend, dann bis zu seiner Pensionierung 1967 bei Hoffmann-La Roche tätig.

Zur Ausstellung ist ein schön gestalteter Katalog erschienen, der sich den Raum nimmt, die Objekte mit ganzseitigen Illustrationen und Kommentaren zu würdigen. Gesetzt ist er – wie könnte es anders sein – aus der von Tschichold 1964 entworfenen Sabon. Mitherausgeber und Autor der Katalogtexte ist Patrick Rössler, der sich jüngst auch mit weiteren Ausstellungen und Publikationen rund um das Bauhaus-Jubiläum für eine Würdigung der typografischen Revolution der 1920er-Jahre eingesetzt hat. Zu nennen ist hier etwa der bereits im letzten Jahr erschienene, plakativ gestaltete Bildband «Neue Typografien. Bauhaus & mehr». Dass der Bauhaus- Wunsch, mit einer funktionalen, klar gegliederten Grafik zu überzeugen und die jeweiligen Werbebotschaften schnörkel- oder besser: serifenlos zu übermitteln, noch immer anspricht, lässt sich beim Blättern durch die Bildkapitel schnell feststellen. Eindrücklich sind die Beispiele an Zeitschriften-, Buch- und Umschlagsgestaltung; abschreckend hingegen das «Nachleben» der funktionalen Typografie in der nationalsozialistischen Propaganda, das in einem Epilog-Kapitel anschaulich belegt wird. Insbesondere der ehemalige Leiter der Reklamewerkstatt am Bauhaus, Herbert Bayer, sorgte hier für formale Kontinuität. Die Bildbeispiele geben Jan Tschicholds Bedenken und seiner daraus resultierenden Abkehr von der neuen Typografie recht.

Abb. 3: Prospekt zu Jan Tschicholds Relaunch der Penguin Books

Abb. 4: Umschlag der Publikation von Patrick Rössler «Neue Typografien»

Jan Tschichold – ein Jahrhunderttypograf? Blicke in den Nachlass», – Ausstellung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig: 19.3.–6.9.2019. Die umfangreiche, von Stephanie Jacobs und Patrick Rössler herausgegebene Begleitpublikation ist im Göttinger Wallstein Verlag erschienen (384 S., br., € 29.–)

Patrick Rössler: Neue Typografien. Bauhaus & mehr: 100 Jahre funktionales Grafikdesign in Deutschland. Göttingen: Wallstein Verlag, 2018 (232 S., geb., € 38.–)