Die Kosten für das Papier der ersten Scuoler Bibel von 1679
von Urs Schocher
sph-Kontakte Nr. 93 | Juli 2011
Im Jahr 1679 erschien erstmals die gesamte Bibel in einem der beiden engadiner-romanischen Idiome. Bearbeiter und Herausgeber des Werkes waren Jachen Antoni Vulpi (Ftan) und Jachen Dorta (Scuol). Die beiden Unterengadiner Pfarrer sind auf dem Titelblatt der Bibel entsprechend genannt. Die Druckarbeiten am Werk erfolgten im Zeitraum von 1674 bis 1679. Ausgeführt wurden sie in der eigenen Druckerei des betreffenden Jachen Dorta in Scuol.
Die Kosten für das Papier dieser (ersten) Scuoler Bibel (1679) waren bis anhin nicht bekannt. Aufschluss über dieselben gibt jedoch eine bislang unberücksichtigte Quelle. Sie befindet sich im Staatsarchiv Graubünden unter den Landesakten der Drei Bünde. Das entsprechende Schriftstück besteht in einem Unterstützungs-gesuch der beiden Herausgeber (Vulpius und Dorta) für ihr laufendes Unternehmen. Der Druck der Bibel war zu dieser Zeit bereits erheblich fortgeschritten. Das Gesuch der beiden Herausgeber ist an die evangelische Session des Bundstages in Chur gerichtet. Es hat (in den wesentlichen Teilen) folgenden Wortlaut:
«… Durch besundere Gnad und Vorsehung, auch Antrib Gotteß haben wir alß schwache und geringe Instrument und Diener Jesu Christi unß fürgenommen und underwunden die H. Bibel Altes und Neuweß Testaments in unser Engadeiner Sprach zu translatieren und im Druck außgehen zelassen: welches von einem Ehrwürdigen Capittel ist approbirt, und von unsern gnädigen Herrn und Obern Loblicher 3. Pünten Evangelischer Religion auch privilegirt worden: Worzu dann grosse Unkostung, Mühe, Fleiß und Arbeit erfordert wirdt; gestalten wir schon über die zweÿ Jahr daran gearbeitet und, Gott lob, mehr alß den halben Theil, wie wir solches da beiligendt weisend, gedruckt haben. Haben auch hierzu neuwe Buchstaben giesen lassen, welches unß in die hundert Ducaten, und daß blosse Pabier in die R. 2800 khosten thut, ohne waß weiters darzu erfordert wirdt, biß daß wirt ganz complet und eingebunden sein, wie solches iederman considerieren khan. Nun aber weil unser Vermögen gring, und unsere Mittel klein, … so haben wir für guot erachtet … auf disem algemeinen Pundßtag alhie vor Euch unsern gnädigen Herrn und Obern Evangelischer Religion zu erscheinen, und Sÿe umb Assistenz, Fürschub, Hilff und Steuwr zu disem loblichen Gott wolgefälligen Werck anzesprechen, und aller demütigist zu bitten; … Dabantur Curiae Rhaetorum d. 21. 7bris 1676. E. Hoch: und Herrligkeiten underthänigiste und gehorsambiste Diener Jacob Anthoni Vulpi und Jacob Dorta.»
Wie aus den Angaben im Gesuch hervorgeht, betrugen die Kosten für das Papier der ersten Scuoler Bibel 2’800 Gulden. Damit kann nun erstmals der Anteil der Papierkosten am Endpreis der Bibel ermittelt werden.
Die Auflage der ersten Scuoler Bibel betrug 2’000 Exemplare. Somit ergaben sich Papierkosten von knapp 1½ Gulden (genauer: 12/5 Gulden oder 1 Gulden 24 Kreuzern) pro Bibel.
Der Verkaufspreis der Bibel-Exemplare geht einerseits aus einer erhalten gebliebenen Rechnungs-Führung mit einzelnen Abnehmern hervor. Sie enthält die Abrechnungen mit den Käufern der Bibeln in den Unterengadiner Ortschaften Sent, Ramosch und Vnà. Die genannte Rechnungsführung wurde bereits im Jahr 1928 durch A. Vital veröffentlicht. Die Eintragungen im Original stammen hauptsächlich von Flurin Dorta. Er war ein Sohn des Bibeldruckers Jachen (Andri) Dorta. Die Rechnungsführung verzeichnet den Verkauf und die Bezahlung von insgesamt etwa 70 (Vital zufolge: ca. 80) Scuoler Bibeln v. a. im Zeitraum von 1680 bis 1682. Der Verkaufspreis einer solchen Bibel betrug (vermutlich in der Normal-Ausstattung) meist 8 Gulden 30 Kreuzer. Daneben werden aber auch Preise von 8 Gulden sowie von 7 Gulden 30 Kreuzern genannt. In einem einzelnen etwas unklaren Fall spricht Vital zusätzlich von einem (einmaligen) Preis von 9 Gulden 30 Kreuzern. Die belegbare Preisspanne hat somit insgesamt zwischen 7 Gulden 30 Kreuzern und 8 Gulden 30 Kreuzern (bzw. allenfalls 9 Gulden 30 Kreuzern) gelegen. Der genaue Verkaufspreis ist bei gut 15 der insgesamt 70–80 verkauften Bibeln in einfacher Form ersichtlich. Der Preis von 8 Gulden 30 Kreuzern erscheint dabei unmittelbar in den Rechnungen mit sieben der entsprechenden Käufer. Aus zwei weiteren Rechnungsverhältnissen lässt sich derselbe Preis indirekt erschliessen. Ein Preis von 8 Gulden ist in den Rechnungen mit fünf anderen Käufern vermerkt. Bei zwei weiteren Käufern schliesslich wird ein Preis von 7 Gulden 30 Kreuzern angegeben.
Die Gründe für die Abweichungen der Verkaufspreise sind nicht zwingend ersichtlich. Ein Unterschied in der Aufmachung der Bibeln besteht einerseits im Vorhandensein oder Fehlen einer Einbindung in Schweinsleder (in Schvainleder) bzw. in weissgegerbtes Leder (in chürom alb) oder allgemein in weisse (Tier-) Haut (in pel alba) . Ein weiterer Unterschied ergibt sich aus der Anbringung (oder fehlenden Anbringung) von Eisenbeschlägen (Inferradüra). In einem einzelnen Fall wird auch eine Vergoldung genannt (üna Bibla surdurada). Bei den teureren Bibeln (8 Gulden 30 Kreuzer) sind vermehrt (bei fünf der acht Käufer) die Eisenbeschläge der Bibeln vermerkt. Bei den günstigsten beiden Bibeln (zum Preis von 7 Gulden 30 Kreuzern) hingegen wird keine Verwendung von Schweinsleder erwähnt. Auffallend ist ferner, dass vier der fünf Abnehmer zum Preis von 8 Gulden aus Ramosch und beide Abnehmer zum Preis von 7 Gulden 30 Kreuzern aus Vnà stammen.
Neben den Preisangaben in der eben behandelten Rechnungsführung ist noch eine weitere Angabe zum Verkaufspreis der Scuoler Bibeln vorhanden. Sie findet sich in einem Manuskript des Unterengadiner Kirchenhistorikers Petrus Dominicus Rosius a Porta (1734–1806). Es handelt sich dabei um eine Darstellung zur ersten Scuoler Bibel. A Porta nennt darin einen Verkaufspreis von einer spanischen Goldmünze (unus aureus nummus Hispanicus). Gemeint ist damit vermutlich eine spanische Dublone. Die entsprechende lateinische Bezeichnung für die fragliche Währungseinheit ist verschiedentlich bezeugt. Bei der Angabe des genannten Bibel-Äquivalentes scheint a Porta jedoch einen Mittelwert aus dem Kurs dieser Währung zur Zeit der Bibelausgabe und jenem in seiner eigenen Lebenszeit anzunehmen. Möglicherweise wurden die Bibeln bis zur völligen Erschöpfung der Auflage tatsächlich auch über einen längeren Zeitraum hinweg verkauft. A Porta macht zur genannten Preis-Information keine Quellenangabe. Vielleicht hat er sich auf Manuskripte wie das oben behandelte gestützt. Denkbar wäre auch, dass er die Information den allfälligen Kaufpreis-Vermerken in einzelnen Exemplaren der ersten Scuoler Bibel selbst entnommen hat.
Nimmt man den häufigsten der zeitgenössisch belegten Verkaufspreise (von 8 Gulden 30 Kreuzern) als Grundlage, so betrug der Anteil der Papierkosten (1 Gulden 24 Kreuzer) am Verkaufspreis etwa 16–17 %. Nimmt man den günstigsten der entsprechenden Verkaufspreise (von 7 Gulden 30 Kreuzern), so ergibt sich ein entsprechender Wert von etwa 18–19 %.
Leider wird im oben genannten Gesuch der Herstellungs- oder Bezugsort des Papiers nicht erwähnt. Der entsprechende Herstellungsort (bei Kempten im Allgäu) ist nunmehr allerdings durch die Wasserzeichen erschlossen. Ebenfalls ist nicht klar, ob zum Zeitpunkt des Gesuchs bereits sämtliches Papier für den Bibeldruck bezogen war oder ob das benötigte Papier dem unmittelbaren Bedarf entsprechend (nach und nach) angeschafft wurde.
Neben dem Kauf des Papiers wird im fraglichen Gesuch auch die Anschaffung von neuen Drucklettern (zum Preis von etwa 100 Dukaten) aufgeführt. Sie machen vermutlich etwa den siebten bis achten Teil der oben genannten Kosten für die Anschaffung des Papiers (von 2’800 Gulden) aus. Die Anschaffung der neuen Drucklettern (als solche) ist schon durch
J. A. von Sprecher erwähnt worden. Er nennt allerdings keine Quelle oder gibt keine ausdrückliche Begründung. Im Übrigen findet sich bei ihm (a.a.O.) auch kein Anschaffungspreis.
Aus dem Gesuch geht weiter die Übereinstimmung zwischen dem Gründer der Druckerei und dem Gesuchsteller hervor. Sie ist später (1679) auch im Vorwort zur ersten Scuoler Bibel bezeugt.