Die Basler haben das Papier erfunden!? Oder wer sagt uns, woher wir wissen, was wir wissen?

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von Martin Kluge

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sph-Kontakte Nr. 87 | Juli 2008

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Ja, doch, das Papier haben die Basler erfunden. Und zwar im Jahr 1470. Nachzulesen ist das bei J. J. Rembolds „Das nützliche und künstliche Papier“ von 1738. Dort heisst es „Heutiges Tages wird das Papier auf eine sehr bewundernswürdige Weise, aus alten Leinen- und Wollen-Lumpen gemacht, und zwar soll die Kunst es also zu bereiten Anno Christi 1470 in Basel seyn erfunden worden“. Auch in der berühmten Oekonomischen Encyklopädie von J. G. Krünitz von 1788 können wir lesen, „daß zu Basel ums Jahr 1470 die erste Papiermühle errichtet worden, wozu zwey Papiermacher, Anton und Michael aus Gallizien verschrieben wären.“  Da steht es schwarz auf weiss, die Gallician-Brüder, die der Gallizian-Mühle des Schweizerischen Pa­pier­museums ihren Namen gaben, hätten das Papier erfunden. Diese Meinung war im 18. Jahrhundert weit verbreitet und wurde erstmals 1677 von J. J. Hoffmann in die Welt gesetzt. Aber irgendwie fraglich ist die Aussage schon, denn die Gallicians liessen bereits 1453 die Mühle in eine Papiermühle umbauen. Was haben sie wohl die ersten 17 Jahre gemacht? Nichts? Oder an ihren Erfindungen herumgebastelt? Im „Entwurff und Beschreibung von der Papiermacherey“ von Franz Henning Schaden von 1740 wird die berühmte Erfindung kurzerhand auf das Jahr 1420 vorverlegt. Zwar ist das für Basel etwas früh gegriffen, aber wenigstens lieg das Datum so vor der Erfindung des Buchdrucks. Um 1470 gab es schliesslich bereits zahlreiche Druckereien in Basel, die nicht erst auf die Erfindung des Papier durch die Basler Papiermacher warten wollten.

Um der Frage nach dem Erfinder des Papiers ein für alle Mal auf den Grund zu gehen, schrieb die königliche Gesell­schaft der Wissen­­schaften in Göttingen 1755 eine Prämie von 25 Dukaten (was dem Halb­jahres­verdienst eines Akademikers entsprach) für die Frage aus, wer das Papier nun definitiv erfunden hat. Die Resultate liessen nicht lange auf sich warten und beförderten die Geschichte über die Galliciani-Brüder in den Bereich der Märchenwelt, da deutlich ältere Papiere in den Archiven gefunden wurden. Vielleicht ist es ein Trost, dass nicht alle später erschienen Vorschläge sich als glaubwürdiger erwiesen als die Erfindung des Papiers in Basel. So lesen wir tatsächlich bei Johann Adolph Engels 1808: „Einige achtungswürdige Schriftsteller Deutschlands legen diese wichtige Erfindung den Deutschen bey, und haben dazu folgende Gründe: 1) Ist bey keiner Nation der Leinenbau so stark betrieben worden, wie bey den Deutschen. 2) Hat Deutschland die ältesten Dokumente auf Papier aufzuweisen […] 3) Die vortreffliche Maschine der Holländer [..] ist ebenfalls eine deutsche Erfindung“. Die letzte Behauptung ist wirklich dreist, heisst der Holländer doch auch auf Englisch hollander beater, auf französisch pile hollandais und selbst auf italienisch olandese.

Zugegeben, bei der oben geführten Diskussion geht es nicht darum, wer als allererster das Papier erfunden hat, sondern das „Linnen-Papier“, wie man damals die europäische Art des Büttenpapiers nannte. Nicht weniger kühn sind die Vorschläge in der Literatur vor 1800, wer wo das Papier zuvor, als erster ertüfftelt hat. Neben den Ägyptern, Persern und Chinesen galten auch die Punier als mögliche Erfinder, wie eine durchaus weit verbreitete These nahe legte. Schliesslich heisst Papier auf Italienisch carta, was wohl auf seinen Ursprung in Karthago hinweise.

Dennoch, aller Spekulationen zum Trotz, hat sich schon früh die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Europäer die Technik der Papierherstellung von den Arabern übernommen hatten. Auch dieser Tatbestand ist uns heute im wikipedia- und google-Zeitalter bestens vertraut. Überall ist heute nachzulesen, dass im Jahr 751 n. Chr. chinesische Papiermacher in arabische Kriegsgefangenschaft gerieten und dort ihr über Jahrhunderte geheim gehaltenes Wissen preisgeben mussten. Ein unfriendly takeover. Bereits im 18. Jahrhundert wusste man von dieser kriegerischen Aneignung. Unser heutiges Bild basiert dabei auf der einzigen umfangreichen Studie, die über diesen Techniktransfer geschrieben wurde. Sie stammt von Josef Karabacek und Julius Wiesner aus dem Jahr 1887! Karabacek korrigierte nicht nur die bis anhin gültige Jahreszahl von 704 auf 751, sondern relativierte bereits aufgrund zahlreicher Quellenzitate eine plötzliche Übernahme einer bestehenden chinesischen Technik. Trotz dieser grossartigen Arbeit hat sich die verkürzte und auf kriegerische Ereignisse reduzierte Darstellung in Sandermanns Standardwerk bis heute gehalten und ist aus dem allgemeinen Weltbild nicht mehr wegzubekommen. Dabei ist es mit der Gefangennahme auch unter noch so viel Folter nicht getan. Schliesslich entstand in Samarkand eine neue Technik, welche die zwei chinesischen Verfahren, die Eingiess- und die Schöpftechnik, kombinierte und auf die lokalen Bedingungen anpasste. Auch für die Rohstoffe musste eine neue, eigene Lösung gefunden werden. Besonders bemerkenswert ist, dass schon in Samarkand ausschliesslich Lumpen aus Leinen verwendet wurde, die von weit her importiert werden mussten. Das ergaben zumindest die naturwissenschaftlichen Untersuchungen von Wiesner 1887. Bis heute fehlen neuere fundierte Untersuchungen zu den arabisch-persischen Papieren. Wir sind auf eine über 100 Jahre alte Literatur angewiesen!

Und wie sieht es mit dem nächsten Schritt aus, der Übernahme der Papiermacherkunst in Europa? Natürlich sind die abenteuerlichen Thesen von einer Schweizer oder  Deutschen Erfindung längst überholt. Heute haben wir eine Flut an Aufsätzen und Artikeln, die sich der Frage widmen, wie und wo die europäische Papierherstellung im 13. Jahrhundert entstand. Zahlreiche Details werden dafür hin- und her abgewogen. Hinter diesen Arbeiten verbergen sich zum Teil aber auch lokal Interessen moderner Grosskonzerne. Deutlich wurde das bei einer Tagung in Fabriano (I), der Kinderstube des europäischen Papiers. 2006 sollte die Bedeutung der fabrianeser Invention für die Welt hervorgehoben werden. Ausgerichtet und finanziert wurde der Kongress durch die cartiere Miliani Fabriano, einer der weltgrössten Hersteller für Sicherheitspapiere. Für sie ist die Zurückführung ihrer Firmengeschichte auf die eigentliche Erfindung des europäischen Papiers verkaufsfördernd, oder neudeutsch gesagt, Teil ihres Corporate Brandings. Regelmässig investieren sie grosse Geldbeträge für Forschungsarbeiten, welche die Bedeutung Fabrianos hervorheben. Die erschreckende Bilanz der Tagung 2006 war, dass ein Grossteil der Beiträge immer noch auf den Arbeiten von den Brüdern Aurelio und  Augusto Zonghi und auf Briquet basieren, also auf eine Literatur aus der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Nur wenig wirklich neues Material wurde seither beigesteuert.

Zum Schluss sei nochmals die Frage gestellt, wer eigentlich das Papier erfunden habe. Diesmal wirklich als allererster. Im Internetzeitalter scheint uns die Antwort leicht zu fallen, nämlich dass es Ts’ai Lun im Jahr 105 war. Er habe das Papier erfunden oder zumindest als Schreibmaterial an den chinesischen Kaiserhof gebrach. Oder gab es das Papier bereits früher, wie es archäologisch angeblich belegt sei? Wie können wir aus unserer Warte diese Frage mit Sicherheit beantworten? Stellen wir uns zunächst der Frage, was wir über Ts’ai Lun wissen. Noch heute wird er in China für die Erfindung des Papiers mit eigenen Tempeln verehrt. Kann ein Papiermacher in den Olymp der Götter aufsteigen? War Ts’ai Lun Eunuch, Hofbeamter, Fürst oder Landwirtschaftsminister, wie er in heutigen Publikationen betitelt wird?  Unser Wissen basiert auf einem Ausschnitt aus dem chinesisches Geschichtswerk namens Hou Han Shu (übersetzt „Jüngere Han-Zeit“), der zweite von 24 Teilen, der als Reichschronik in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts durch den Hof­chronisten Fan Yeh geschrieben wurde. Ohne diese Passage wüssten wir nichts von dem legendären Ereignis im Jahr 105 n. Chr. Oder anders herum, mehr Belege darüber, was sich 105 in der Werkstatt Ts’ai Luns abgespielt haben mag, gibt es nicht. – Oder halt, fast nicht! Es gibt weitere Quellen, deren Existenz seit über 20 Jahren auch im Westen bekannt sind, die bisher aber nie übersetzt oder zugänglich gemacht wurden. Die wichtigste dieser Texte ist ebenfalls eine offizielle Geschichtsquelle, entstanden lediglich 46 Jahre nach dem berühmten Jahr: das Tong-Kuan-Han-Chi (Geschichte der öst­lichen Han Dynastie). Wie weit sie das bisherige Bild revidieren, wäre spannend herauszufinden.

Alles was uns also bleibt, ist den originalen Wortlaut der einzigen zugänglichen Quelle zu untersuchen. Schliesslich zeigen die oben zitierten Amtszuweisungen Ts’ai Luns, dass auch hier durchaus Interpretationsfreiräume vorhanden sind. Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Quelle unbekannt. Die Chinesen hätten, so die Handbücher, „seit Urzeiten“ bereits Papier gemacht. Erstmals aufmerksam auf diese Passage wurde Stanislas Julien und Paul Champion im Jahr 1869. Jedoch erst 21 Jahre später, 1890, wurde der papiergeschichtlich interessierten Welt die Quelle genannt, auf die sich die Aussage abstützt. Der Quellen-Name allein hilft aber nicht weiter. Erst 1905 wurde der originale Wortlaut für alle, die nicht fliessend chinesisch sprechen, durch eine Übersetzung ins Französische greifbar. Seither steht fest, dass es für die Papiergeschichte ein mindestens dokumentarisch festgelegtes Erfindungsjahr gibt. Das wäre alles wunderschön, wäre da nicht eine Reihe anderer Quellen, die Sandermann zitiert und welche Ts’ai Lun in seiner Bedeutung zurücktreten lassen. Leider wird dieser Aspekt immer wieder übersehen.

Umso mehr rückt die Archäologie ins Zentrum des Interesses, denn letztlich können uns nur Papierfunde Sicherheit für die Existenz von Papier geben. Heute werden im Shaanxi Museum in Xian, als eines der Highlights der Sammlung, vier Fragmente der angeblich ältesten Papiere der Welt gezeigt. Was hat es mit diesen auf sich?  1957 wurde in Baqiao bei Xian das zu Tage gebracht, was lange Zeit als die ältesten Papiere der Welt gehandelt wurde. Bei Grabungen wurden rund 80 Papierfragmente, 1×1 cm bis 10×10 cm gross, als Verpackung zwischen Bronzespiegeln in einem Grab der  älteren Han-Dynastie (140-87 v. Chr. ) gefunden. Es sind seltsame, lose und stark ausgerichtete Faserbündel, die kaum Bearbeitungsspuren der Stoffaufbereitung aufweisen. Eher wie grob bearbeitete Seile wirken die Hanffasern. Wie der Zufall so will wurden sie ausgerechnet 1957 im Vorfeld der Kulturrevolution gefunden. Das kam Mao und der jungen Volksrepublik sehr gelegen, da die Papiere den Beweis lieferten, dass Papier nicht von einem kaiserlichen Hofbeamten, sondern vom chinesische Volk an sich erfunden wurde. Der „Zufall“ der zur rechten Zeit aufgetauchten Papierbeweise und vor allem das seltsame Erscheinungsbild der Fasern liessen immer mehr Zweifel an der Echtheit der Papiere aufkommen.

Weitere Papierreste tauchten 1978 gleich in mehreren Grabungen aus der älteren Han-Dynastie auf. Da die Grabungsschichten nur wenige cm unter dem heutigen Bodenniveau liegen und die erforschten Festungen auch Jahrhunderte später noch in Gebrauch waren, sind diese Belege ebenso zweifelhaft. Und wieder ist das Fundjahr verdächtig, denn die Funde wurden 1978 präsentiert, kurz nach dem Tod Maos, einer Krisenzeit der Volksrepublik. Wie lassen sich also die archäologischen Grabungen von unserer Warte aus beurteilen? Die Literatur ist auf chinesisch und für uns schwer zugänglich. Und den etwas „freien“ Umgang mit Geschichte darf man der chinesischen Regierung nicht vorwerfen, ent­spricht er doch unseren Methoden in der Zeit des Historismus vor rund 150 Jahren. Lediglich zwei neue archäologische Funde scheinen auf eine Verwendung von Papier als Schreibmaterial hinzuweisen: Drei Fragmente einer Landkarte, die in einem Grab in Fangmatan gefunden wurden. Aufgrund von Keramik­­funden lassen sie sich in die Zeit 179–141 v. Chr. datieren. Die Grabung ist im Wu Wen dokumentiert, der zwar auch chinesisch verfasst, aber im Original in Zürich einzu­sehen ist. Der andere Beleg ging 2006 durch die Medien (sph-Kontakte berichteten), ein in der alten Garnisonsstadt Gunhuang am Yumen-Pass gefundenes Papier mit 20 Schriftzeichen, aus der Zeit um 8 v. Chr. Bis heute ist es mir nicht gelungen, nähere Informationen über den Fundkomplex oder gar eine Abbildung zu bekommen.

Nach diesem Rückblick stellt sich also durchaus die Frage, woher das Wissen kommt, von dem wir meinen zu wissen, dass wir es wissen.

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