Am Himmel und auf Erden – Nicolas-Louis Roberts grosse Träume oder was die Luftfahrt mit Papiermaschinen verbindet

Artikel als PDF herunterladen

von Ernst Völker*

sph-Kontakte Nr. 91 | Juli 2010

Start des ersten Gasballons am ersten Dezember 1783. An Bord Jacques-Alexandre-Cesar Charle und Nicolas-Louis Robert.

Nachdem die Brüder Jacques-Etienne und Joseph-Michel Montgolfier, Söhne eines wohlhabenden Papierfabrikanten, am 4. Juni 1783 im Landstädtchen Annonay in der Nähe von Lyon, einen unbemannten Ballon von 750 Kubikmetern aus Papier, Taft und Seide aufsteigen lassen, lebte Frankreichs Hauptstadt im Ballonfieber. Er erreicht die Höhe von 1’800 Metern und treibt fast 2,4 Kilometer dahin. Die beiden Montgolfiers behaupten, sie hätten zum Aufblasen ihres Luftschiffes ein Gas erfunden, das air alcalin. Weit gefehlt, es ist nur heisse Luft, die durch das Verbrennen von feuchtem Stroh und Schafswolle unter der Startrampe entsteht. Der Ballon kann sich überhaupt erst mittels eines unter der Ballonöffnung angebrachten Beckens mit glühender Holzkohle in der Luft halten. Nach dem gleichen Prinzip, allerdings mit Gasbrennern, werden die auch heute wieder in Mode gekommenen Heissluftballons bewegt. Jedenfalls, die Kunde dieses Ballonaufstieges schlägt wie eine Bombe in Paris ein. Die Montgolfiers werden aufgefordert, ihr Experiment in der Hauptstadt zu wiederholen.

Damit kommen wir zu unserem Helden: Nicolas- Louis Robert. Dieser ist zu diesem Zeitpunkt 22-jährig und sucht nach Arbeit und Brot. Das findet er bei seinem drei Jahre älteren Bruder Anne-Jean, der in Paris im Viertel von Saint Eustache physikalische Geräte für die im stürmischen Aufwind begriffenen naturwissenschaftlichen Institute herstellt. Einer seiner Kunden ist Jacques-Alexandre-Cesar Charles, Professor für Physik an der Universität der Sorbonne. Der 37-jährige Akademiker gewinnt Sympathie für den verhinderten Abenteurer Nicolas, den man in Freundeskreisen als den ‹jungen Robert› bezeichnet. Daraus entwickelt sich eine Freund- und Partnerschaft, womit wir erneut beim Thema Ballonfahrt landen.

Charles und seine wissenschaftlichen Freunde begegnen nämlich den Experimenten der Brüder Montgolfier mit Misstrauen. Sie wissen, dass der englische Physiker und Chemiker Henry Cavendish sieben Jahre zuvor entdeckt hat, dass Wasserstoff leichter ist als Luft. Also weg mit dem Heissluftzauber der Montgolfiers und deren unförmigen Luftschiffen. Ein mit Wasserstoff gefüllter Ballon ist im Durchmesser kleiner und besitzt gewiss viel mehr an Steighöhe. Die Akademie der Wissenschaften schaltet sich ein. Professor Charles und seine Freunde, an der Spitze der Geologe Faujas de Saint-Fond, rufen zu Spenden auf. Der Wettlauf zwischen den Montgolfiers und Charles beginnt.

Die beiden Brüder Robert sind gefordert. Sie bauen für Charles in zweieinhalb Monaten einen Ballon mit einem Durchmesser von 3,90 Metern. Zur Imprägnierung der seidenen Ballonhülle verflüssigen sie Kautschuk in Terpentinöl. Viel abenteuerlicher ist die Gewinnung des Wasserstoffes. Professor Charles gewinnt ihn aus Eisenfeilspänen, die mit Schwefelsäure behandelt werden. Kurz darauf explodiert ein mit Wasserstoff gefüllter Druckbehälter, aber der Wettlauf mit der Zeit ist gewonnen. Am 23. August 1783 fliegt der unbemannte Wasserstoffballon, den man die Charliere nennt, vom Pariser Marsfeld der Konkurrenz auf und davon. Die Pariser sind begeistert. Sie haben der Provinz gezeigt, wer in Sachen Ballonfahrerei die Nase vorne hat.

Der Ballon bleibt eine drei Viertel Stunde in der Luft und legt in dieser Zeit über 20 Kilometer zurück, um schliesslich auf einem Feld bei dem Dorf Gonesse zu landen. Die Bauern glauben der ‹Gottseibeiuns› sei bei ihnen niedergegangen und greifen das Ungeheuer mit Steinen, Forken und Sensen an. Nachdem sie das Monster kampfunfähig gemacht haben, binden sie die Überreste an den Schwanz eines Pferdes und schleifen diese im Triumphzug durchs Dorf.

Den Brüdern Montgolfier ist zunächst einmal die Schau gestohlen. Sie müssen sich etwas Besonderes einfallen lassen, um dem Konkurrenten Charles Paroli zu bieten. Drei Wochen später, am 19. September 1783, sind sie soweit. Vor Tausenden sensationslustiger Pariser und in Anwesenheit von König Ludwig XVI. steigt ihr Heissluftballon, mit Hahn, Ente und Hammel an Bord, zu einer acht Minuten dauernden Luftfahrt in den Norden von Versailles auf. Seine Majestät ist tief beeindruckt. Etienne Montgolfier erhält das Ordensband des Heiligen Michael, Bruder Joseph eine Rente von 40’000 Livres und Vater Montgolfier den Adelsbrief – Hahn und Ente landen in der Pfanne, der Hammel aber wird im königlichen Zoo als Himmelsfahrer bestaunt und darf sich eines geruhsamen Pensionärslebens erfreuen.

Aber der Rummel geht weiter. Am 21. November 1783 steigt eine Montgolfiere mit zwei Männern, Pilatre de Rozier und Marquis d’Arlandes für 25 Minuten in die Luft. Montgolfier und seine Luftfahrer sind die Helden des Tages, was die Konkurrenz, also Charles, vor Neid erblassen lässt. Wagen und gewinnen ist daher dessen Devise. Nur wenige Tage später, am 1. Dezember 1783, steigt der Wasserstoffballon von Professor Charles auf, mächtig bestaunt von einer angeblich 300’000 Köpfe zählenden Menge. An Bord sind Charles und sein Freund Nicolas-Louis Robert. Ausgestattet ist der Ballon mit einer von den Roberts konstruierten Führerkanzel, einem Höhenmesser, einem Ventil, um Gas abzulassen, einem Ballonnetz und mit Sandsäcken als Ballast.

In zwei Stunden legen die beiden Luftfahrer eine Strecke von 30 Kilometern zurück und landen im nahegelegenen Ort Nesle. Robert steigt aus, nachdem ein Protokoll über die Luftreise verfasst ist. Professor Charles steigt noch einmal auf und erreicht die sagenhafte Höhe von 3’000 Metern. Am Tag darauf geht es im Triumphzug zurück nach Paris. Der König belohnt Charles mit einer jährlichen Rente von 2’000 Livres und einem physikalischen Kabinett im Louvre. Die berühmt-berüchtigten Fischweiber von Paris krönen ihn mit einem Lorbeerkranz. Der Wasserstoffballon hat gesiegt. Der Heissluftballon gerät für die nächsten zweihundert Jahre in Vergessenheit. Die beiden Montgolfiers kümmern sich wieder um das Familienunternehmen im heimatlichen Vidalon-les-Annonay. Etienne wird im Jahr 1796 Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Joseph folgt ihm 1806 nach. Das ­Ballonfahren mit der Charliere wird eine Sache schaustellernder Artisten. Karl Marx wird Jahrzehnte später noch von den Roberts & Co. sprechen. Die Militärs machen das Weitere. Cesar Charles zieht sich in die wissenschaftliche Arbeit zurück und wird 1795 Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er stirbt am 7. April 1823 in Paris. Anne-Jean und Nicolas-Louis Robert beschäftigen sich wieder mit dem Bau physikalischer Geräte. Dann kommt die Grosse Revolution und mit ihm der Ausspruch des Revolutionstribunals: Die ­Republik braucht keine Wissenschaftler und Chemiker. Ab 1790 schliessen fast alle wissenschaftlichen Institute. Für die Roberts gibt es so gut wie nichts mehr zu tun. Nicolas-Louis Robert, gerade frisch verheiratet, geht wieder auf Arbeitssuche. Eine Anmerkung am Rande: Im Jahr 1932 wird in Paris eine Strasse benannt. Es ist die Rue Charles-Robert an der Porte de Montreuil, im Südosten der Hauptstadt.

Portrait des jungen Nicolas-Louis Robert

Der hart errungene Erfolg

Assignat über 15 Sols von 1792

Zunächst lässt sich für Nicolas-Louis Robert alles gut an. Ende 1791 überträgt ihm der Druckereikönig von Paris, Pierre-François Didot, den Posten eines Korrektors. Er behandelt den intelligenten und fleissigen Mitarbeiter wie ein Familienmitglied. Seine Schwiegertochter, Mme. Didot Saint-Leger und ihr Schwager, Firmin Didot, halten Roberts Töchterchen, Marie-Eugenie, über das Taufbecken. La Vie en rose, so scheint es. Doch Robert muss bald ins Geschirr, denn Didot Saint- Leger (26) wird nach dem Tod seines Vaters am ­

7. Dezember 1793 Eigentümer der Papierfabrik in Essonnes bei Corbeil, an der Mündung der Essonne in die Seine. Er bekommt die 300 dort Beschäftigten nicht in den Griff. Die Bütten, Tag und Nacht in Betrieb, können den ungeheuren Papierbedarf für die von der Revolutionsregierung herausgegebenen Assignate nicht mehr sicherstellen. Es kommt zu Streiks. Das Papier wird die 35 Kilometer nach Paris noch in feuchtem Zustand und meist schlechter Qualität in die Druckerei gekarrt. Dort laufen die Druckpressen rund um die Uhr, denn die Entwertung des auf die enteigneten kirchlichen und königlichen Ländereien tradierten Papiergeldes nimmt inflationäre Züge an. Im November 1794 sind bereits Banknoten im Wert von 8 Milliarden Livres im Umlauf und schon sechs Monate später 11 Milliarden.

Mit Härte kann der inzwischen zum Betriebsleiter ernannte Louis Robert – als ehemaliger Artillerieoberfeldwebel – die Schwierigkeiten in Essonnes nicht meistern. Er sinnt nach einem Ausweg, die disziplinlosen Arbeiter durch eine Maschine zu ersetzen. Er baut ein kleines Modell, dessen Resultate Erfolg erhoffen lassen. Aber die mühselige Tagesarbeit frisst die wenigen Stunden schöpferischer Gedanken auf. Für Monate ruht die Arbeit an der neuen Papiermaschine, bis ihm eines Tage Didot sagt: ‹Hören Sie mal Robert! Was ist aus Ihrer Papiermaschine geworden? Warum machen Sie nicht weiter? Mit dieser Erfindung werden Sie ihr Glück machen.›

Wir nähern uns dem Jahr 1796, Robert arbeitet fieberhaft an einer verbesserten Maschine. Arbeitgeber Didot stellt ihm Handwerker, Werkzeuge und Material zur Verfügung. Doch es braucht seine Zeit, viel länger als sich das der ungeduldige Didot vorgestellt hat.

Inzwischen hat das Direktorium die Trümmer der Revolution übernommen. Der Wert der Assignaten liegt inzwischen unter dem Papierpreis. In vier Monaten verdoppelt sich der Umlauf an Papiergeld und erreicht am 19. Februar 1796 über 39 Milliarden neuer Francs. Am gleichen Tag werden alle noch vorhandenen Assignate und deren Druckplatten auf dem Vendome-Platz verbrannt.

Dafür gibt man ein neues Papiergeld, das Territorialmandat, Pfand auf die noch nicht verkauften National­güter sowie die eingezogenen Ländereien der Emi­granten, heraus. Das alte Papiergeld wird im Verhältnis 30:1 gegen die neuen Territorialmandate getauscht. Doch man macht den Bock zum Gärtner. Bis Ende 1796 sind 45’578 Milliarden Livres im Umlauf, gegenüber 400 Millionen im Jahr 1789. Die Assignate sinken auf 1/4000 ihres Nennwertes und werden ab dem

21. Mai 1797 ungültig.

In seiner Not sieht sich das Direktorium gezwungen, die Krondiamanten zu veräussern, darunter den berühmten Regent Ludwigs XV, der an die Bank von Berlin verpfändet wird. Immerhin gelingt es, den Notenumlauf auf schliesslich 24 Milliarden zu verringern. Schlechte Zeiten für Didot, denn Münzgeld ist jetzt gefragt. Dafür sorgen indirekte Steuern, wie die am 24. November 1798 verordnete Tür- und Fenstersteuer sowie, last but not least, der junge General Napoleon Bonaparte.

‹Ich werde Euch in die fruchtbarsten Landschaften der Welt führen. Und Ihr werdet Ehre, Ruhm und Reichtum finden›, so Napoleon an seine Italienarmee und später ‹Zu meinen Lebzeiten wird kein Papiergeld ausgegeben›. Tatsächlich, indirekte Steuern. Beute, Kontributionen und Kriegsentschädigungen lassen den französischen Staatshaushalt wieder gesunden.

Am 21. Juli 1798 gewinnt Napoleon die weltberühmt gewordene Schlacht bei den Pyramiden.

Zweieinhalb Monate später, am 9. September 1798, schreibt Nicolas-Louis Robert an das französische Innenministerium: ‹Bürger Minister. Seit mehreren Jahren bin ich in einer der bedeutendsten Papierfabriken der Republik beschäftigt. Dort habe ich eine Maschine konstruiert, mit der man ohne Zuhilfenahme eines Arbeiters Papier in der aussergewöhnlichen Länge von 12 oder 15 Metern herstellen kann. Ich habe aber weder das Geld für ein 15 Jahre dauerndes Patent noch für die entstehenden Frachtkosten. um Ihnen das Modell dieser Maschine zusenden zu können. Bitte geben Sie mir ein Patent gratis›.

Am 5. Oktober 1798 antwortet der Minister François de Neufchateau: ‹Bürger, ich habe mit Interesse Ihre Niederschrift vom 9. September gelesen. Die Gesetze verlangen jedoch Bezahlung für eine Erfindungsanmeldung. Ich schicke Ihnen aber eines der Mitglieder des Konservatoriums für Kunst und Handwerk, um sich Ihre Erfindung anzusehen. Gruss und Bruderschaft›.

Am 4. Dezember 1798 schreibt der Minister erneut: ‹Bürger, ich darf Ihnen zu meiner Freude mitteilen, dass ich den Chef der Buchhalterei angewiesen habe, Ihnen 3’000 Francs als Belobigung auszuzahlen›. Für 1’562 Francs kann Robert am 18. Januar 1799 seine Erfindung anmelden. Sie tritt am nächsten Tag in Kraft. Triumph auf der ganzen Linie. Nicolas-Louis Robert ist jetzt 37 Jahre alt.

Irrungen und Wirrungen

Robert geht es wie der Mehrzahl der Franzosen. Sie bezahlen die Errungenschaften der Revolutionsjahre mit Armut. Nicolas Robert hat zwar jetzt das ersehnte Patent für seine Maschine bekommen, nicht aber die Mittel, diese Erfindung zu verwirklichen.

Robert, jetzt auch Betriebsleiter einer Didot-eigenen Mehlmühle, verkauft die Erfindung für 15 Jahre an seinen Arbeitgeber und verlangt dafür die nicht unbeträchtliche Summe von 60’000 Gold-Francs, davon sofort fällig 6’000 Francs nach Vertragsunterzeichnung. Didot akzeptiert zunächst, doch dann kommt es zum Prozess. Robert, der inzwischen in Darnétal bei Rouen eine Papierfabrik errichten will, muss nachgeben. Das dafür notwendige Gesellschafterkapital von 16’000 Francs, welches der Pariser Immobilienbesitzer Grandin finanzieren soll, kommt nicht zusammen. Der gewiefte Geschäftsmann will nämlich dafür die Zession der Robertschen Maschine. Inzwischen erkrankt Roberts Frau schwer.

Der enttäuschte Nicolas-Louis Robert zieht nach Paris in die Rue de la Huchette. Am 28. März 1800 kommt es zum Vergleich mit Didot. Man einigt sich auf 27’400 Francs, wovon 2’400 sofort zahlbar sind. Der Rest soll mit sechsprozentiger Verzinsung aus den Gewinnen der Papierfabrik in Essonnes beglichen werden. Robert liefert Didot die mit einem verbesserten Metallsieb bestückte Maschine, dazu noch ein ­gros­ses Modell, sowie Vorrichtungen zum Pressen, Strecken, und Kleben des Papiers.

Etwas aber muss hier festgehalten werden, um die bisherige Geschichtsschreibung zu korrigieren. Robert kann um diese Zeit noch kein einwandfreies Druckpapier herstellen. Er hat jetzt die Idee, seine Maschine zur Herstellung von Tapetenpapier umzubauen. Daran arbeitet auch sein Chef Didot. Das geht aus einem Brief von Roberts Freund Fleurigeon, einem ehemaligen Beamten im Innenministerium, vom 9. Januar 1800 hervor.

Napoleon oder die Umstände

Konstruktionszeichnung zur ersten Papiermaschine aus dem französischen Patent Nr. 329 von Nicolas-Louis Robert

Der grösste Sohn des Vaterlandes ist ein Phänomen. Er vollendet die Revolution und verändert die Landkarte Europas. Doch bleibt er ein Mensch des

18. Jahrhunderts und missachtet zum Beispiel die Möglichkeiten der Dampfkraft völlig.

Schon sieben Jahre zuvor hat der Wohlfahrtsausschuss unter Robespierre das Verfahren von Leblanc zur Herstellung von Soda veröffentlicht, ‹damit die Menschheit daraus Nutzen ziehen möge›. Die chemische Industrie Englands zog den Nutzen daraus. Nun geschieht nichts anderes unter dem Konsulat Napoleons. Man lässt die Erfindung von Robert ziehen; wiederum zum Nutzen der Industriemacht England. In Amiens schliesst der Erste Konsul der Franzosen nämlich am 27. März 1802 Frieden mit England. Jetzt kommen Bürger des Inselreiches ins Land. Schon Anfang 1801, im Vorfeld der Friedensverhandlungen, kam so John Gamble nach Paris. Er war für den Austausch der Kriegsgefangenen eingesetzt.

Der Bruder von Gamble, Graveur für Tapetendruck und mit Verbindungen zu den Londoner Papierhändlern Gebrüder Fourdrinier, lebt schon lange in Paris mit seiner Schwester, die den jungen Didot heiratet. John Gamble kommt gerade zur rechten Zeit und erfährt von seinem Schwager, dass man auf der Robertschen Maschine sehr gut Papier für Tapeten in langen Bahnen herstellen kann. Papiertapeten sind in England ganz gross in Mode.

Der beredte Engländer luchst seinem Schwager Didot das diesem noch nicht gehörende Robertsche Patent ab und lässt seine Mission, sich um die Gefangenen zu kümmern, einfach sausen.

John Gamble schifft sich schnell mit einigen Rollen dieses Papiers und Konstruktionszeichnungen nach England ein. Er will dort mit Tapetenpapier das grosse Geld machen. Man braucht nicht mehr kleine Papierformate zusammenzukleben, sondern kann sich jetzt längerer Papierbahnen bedienen. Tatsächlich erhält Gamble schon am 20. April des gleichen Jahres ein englisches Patent, von dem er ein Drittel der Rechte an die Londoner Papiergrosshändler Fourdrinier abtritt. Der betrogene Didot riecht wohl schnell den Braten. Er setzt sich auf Gambles Fersen und begibt sich im April 1802 in das gegenüber Frankreich industriell weiterentwickelte England, die gerichtlich erstrittene Originalmaschine seines Untergebenen Nicolas-Louis Robert im Gepäck. Aber aus den wenigen Wochen, die Didot einplant, werden schliesslich 16 Jahre.

John Gamble ist bereits mächtig am Zug. Er ist Engländer und damit des Umgangs mit seinen Landsleuten besser mächtig als sein französischer Schwager Didot. Ausserdem hat er technisches Gespür. Zusammen mit John Hall und schliesslich mit dessen früherem Lehrling, Bryan Donkin, entwickelt er eine verbesserte Maschine, die im Jahr 1804 in der Fourdrinierschen Papierfabrik von Frogmore in Hertfordshire in Betrieb genommen wird.

John Gamble erhält dafür sein zweites englisches Patent. Darin verankert sind Maschinenantrieb, Vervollkommnung der Press- und Siebschütteleinrichtung, seitliche Siebbegrenzung und der Einbau einer Nasspresse. 1804 geht eine zweite, grössere Papiermaschine in Betrieb. Doch erst die dritte Maschine in der Papiermühle Two Waters im Jahr 1805 lässt auf geschäftlichen Erfolg hoffen. Mit einer Länge von 7,40 Meter und der Papierbreite von 1,34 Metern fertigt diese Maschine in 12 Stunden so viel wie sechs Bütten in der gleichen Zeit. Die Produktionskosten für Papier sinken auf ein Viertel.

Robert, jetzt Direktor, sitzt inzwischen zu Hause in Essonnes auf glühenden Kohlen, denn die Papierfabrik, die noch im Jahr 1806 mit herkömmlichen Bütten arbeitet, bekommt immer weniger Aufträge. Hat schon das Direktorium 42 Zeitungen kassiert und von 11 Zeitungen die Druckpressen vernichtet, so verbietet Napoleon mit Dekret vom 17. Januar 1800 in Paris 60 von 73 politischen Zeitungen. Ende 1800 sind nur noch neun Blätter übrig. Innerhalb der nächsten vier Jahre verringert sich die Zahl der Abonnenten von 150’000 auf unter 20’000.

Robert muss Arbeiter entlassen. Das ihm vertraglich zustehende Geld aus den Gewinnen des Papierverkaufes verringert sich immer mehr. Léger Didot versucht von London aus Robert zu beruhigen, so mit Brief vom 19. Juni 1802: ‹Lieber Robert, es dauert alles so lange in England. Für eine Entscheidung, die man in Paris in 24 Stunden trifft, benötigt man in London 15 Tage›. Dann mit Brief vom 19. August 1802: ‹Lieber Robert, für Ihre neue Erfindung, den Papierstoff in der Bütte mit geronnener Milch zu leimen, kann ich Ihnen keine 3’000 Francs bezahlen›.

Didot schickt ihm dann am 18. September 1’800 Francs, aber das Geld ist umsonst ausgegeben, denn die von Robert erfundene Leimung klappt nicht. Robert ist weiterhin hinter dem Geld her. Am 7. Oktober 1806 schreibt Didot: ‹Kein Grund zur Unruhe lieber Robert, ich arbeite für Sie und für mich›. Am gleichen Tag aber geht ein weiterer Brief an Robert ab, mit dem Inhalt, die Anzahl der Bütten in Essonnes auf vier zu reduzieren, von denen drei ausschliesslich zur Fertigung von Briefpapieren für die Regierung vorzusehen sind.

Diese Einsparungen haben nicht geholfen, das durch die Privatentnahmen für den kostspieligen England-Aufenthalt verschuldete Unternehmen über Wasser zu halten. Durch die französische Bankenkrise kommt am 23. Juni 1810 das Aus. Didot muss seine Papierfabrik verkaufen. Laut Vertrag müsste jetzt die Erfindung wieder an Nicolas-Louis Robert zurückfallen. Doch Didot begegnet dem und schickt seinen Generalbevollmächtigen Anne-François Berte mit den Plänen der von ihm in England verbesserten Maschine nach Paris. Dieser jedoch meldet die Erfindung im Jahr 1811 unter seinem eigenen Namen an. Nicht nur ­Nicolas-Louis Robert sieht sich endgültig um die so lange erhofften Früchte seiner Arbeit betrogen, auch Didot ist ausgehebelt.

* Dieser Text ist – abgesehen von wenigen redaktionellen Eingriffen – ein Auszug aus der eigenständigen Publikation «Der grosse Traum des Nicolaus-Louis Robert. Wegbereiter der Weltmacht Papier» von Ernst Völker, erschienen im Eigenverlag der gebr. Bellmer GmbH & Co KG, Niefern 1998.

Ich danke der Gebr. Bellmer GmbH & Co KG für das Recht, Auszüge an dieser Stelle publizieren zu dürfen.

Die Redaktion, Martin Kluge.