Alchemistisches aus St. Gallen – Das Rosarium Philosophorum Revisited

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von Nana Badenberg

sph-Kontakte Nr. 100 | März 2015

Ein halbes Jahr lang hielt sich Paracelsus 1531 in St. Gallen auf, wo er sein Opus Paramirum fertiggestellt hat und unter anderem den schwerkranken Bürgermeister zu heilen versuchte – vergeblich. Dessen Schwiegersohn freilich, der Kaufmann Bartlome Schobinger (1500–1585), legte sich bald schon eine umfangreiche Bibliothek und eine Sammlung alchemischer Handschriften zu (Letztere schenkte sein Enkel der städtischen Bibliothek; sie befinden sich heute in der Vadianischen Sammlung). Er habe Paracelsus und seinen Stil «gar wol kennt», bekundete Schobinger in späteren Jahren, wenn auch mit einer gewissen Distanz. Schobinger war in seiner Heimatstadt nicht nur eine Weile lang für die Münzprägung zuständig, sondern, wie Rudolf Gamper in einer auf umfangreiche Quellen gestützten biographischen Skizze schreibt, selbst «praktizierender Alchemist». Davon zeugt seine Korrespondenz, wohl aber auch die ein oder andere Randnotiz von seiner Hand. Und geschrieben von Schobingers Hand ist das Manuskript VadSlgMs 394A, dessen genauere Untersuchung und Beschreibung für den Handschriften-Verbundkatalog jetzt zu der Publikation im Chronos Verlag führte, von der hier die Rede ist.

Im Mittelpunkt des Bandes steht das Bildgedicht Sol und Luna, zentraler Bestandteil des Rosarium Philosophorum, eines wohl bereits um 1400 zusammengestellten alchemischen Florilegiums, das insbesondere nach seinem Erstdruck 1550 weite Verbreitung fand und sich auch dank der Deutung C. G. Jungs bis heute einer gewissen Beliebtheit erfreut. Nicht um die Textkompilation des Rosarium als Ganzem geht es also, sondern um das hermetisch anmutende, mit achtzehn eindrücklichen Federzeichnungen illustrierte Bildgedicht Sol und Luna sowie die beiden interpolierten Bildgedichte Das nackte Weib und Responsio lunae des Rosarium Philosophorum, die alle in Originalgrösse wiedergegeben sind. Auch wenn einem viele der Federzeichnungen wie die Herma­phroditen, Kaiserin oder Kaiser aus einschlägigen Sammelpublikationen oder Ausstellungen zum Thema bekannt vorkommen, vollständig publiziert war diese Bilderserie bislang nicht – im Gegensatz zu den Holzschnitten des Erstdrucks. Der Grund dafür ist wohl weniger ästhetischer als historisch-wissenschaftlicher Natur. Denn bislang ging man davon aus, dass die Handschrift nach dem Druck entstanden sei und auch die ikonographische Nähe zu den Holzschnitten des Drucks aus dieser Abfolge herrühre.

Dank einer genaueren Untersuchung des Papiers und Bestimmung des Wasserzeichens – hier engagierte sich Fredi Hächler – lässt sich die Entstehung des St. Galler Manuskriptes jedoch vordatieren. Denn das Wasserzeichen des Blattes 251 zeigt einen Berner Bären (leider nicht abgebildet), der auf eine Entstehungszeit um 1530 und damit deutlich vor dem Erstdruck hindeutet. Allerdings – und diese Einschränkung ist zu machen, auch wenn die Beschriftung der Zeichnungen ebenfalls von der Hand Schobingers ist – wurden die Bilder nicht dort eingefügt, wo der kaufmännische Schreiber Platz für Illustrationen liess, sondern sie entstanden auf separat eingebundenen Blättern, deren Papier feiner und ohne Wasserzeichen ist. Wann während Schobingers 85 Jahre lang währenden Lebens sie entstanden, lässt sich wohl nicht mit Sicherheit sagen.

Doch auch ohne eine eindeutige kunsthistorische Priorisierung der Federzeichnungen: Die Beschäftigung mit dem Bilderzyklus, der, so Thomas Hofmeier, «das Rückgrat» des Rosarium bildet und der zudem über die primäre Anschauung Zugang zum alchemischen Schrifttum ermöglicht, lohnt allemal. Er wird hier Bild für Bild mit den jeweiligen Inschriften und Versen kurz vorgestellt, erläutert und mit der entsprechenden Gestaltung in ­anderen ­Fassungen ­verglichen – angefangen von dem Mercurius-­Brunnen (Abb. 1), der als Ausgangspunkt und Grundlage die materia prima, die vier Elemente und die Ströme der drei Naturreiche ins Bild setzt, über die Vereinigung von Sol und Luna, das Entfleuchen des Seelen­knabens und Geistmädchens (in dieser Rollenverteilung) aus dem nun ­herm­­a­phroditischen Körper bis hin zur Wiedergeburt, wie sie sich im Rätsel des Königs (Abb. 2) geheimnisvoll ausdrückt, dem nun «philosophischen Mercurius», dargestellt in Gestalt des die Sonne verschlingenden grünen Löwen (Abb. 3), und der Rückbindung des Geschehens im Bild des auferstandenen Christus.

Dass die Figur des Hermaphroditen in diesem Bilderzyklus so durchgängig und zentral dargestellt wird, hat auch alchemietheoretische Gründe: Denn in dem Bild des Mannweibes verschmelzen die gegensätzlichen Prinzipien von Quecksilber und Schwefel; dem entspricht – so Hofmeiers Analyse –, dass das Rosarium als solches nicht mehr die ältere arabische, auf den gegensätzlichen Prinzipien von Schwefel und Quecksilber, Sol und Luna basierende, sondern eine reine Quecksilber-Theorie vertritt. Erst wenn man die Bildersprache der Alchemie sehr genau liest und die Verhältnisse berücksichtigt, in denen die einzelnen Motive zueinander stehen, zeigt sich, dass und wie sie vor allem «zur Kommunikation innerhalb der Disziplin» diente und nicht so sehr zu deren vermeintlicher Verschlüsselung.

Dass sich im Falle von Schobingers Manuskript und bezogen auf seine Tätigkeit verhältnismässig viele Quellen erhalten haben, erlaubt eine derart einlässliche  Publikation, die neben der einen Handschrift deren Schreiber in einem fein skizzierten und reich illustrierten Lebensbild vorstellt. Zu kurz kommt dagegen die alchemische Blütenlese des Rosarium selbst; denn hinter dem zentral abgehandelten Bildgedicht verschwindet der Rest des Manuskriptes, das allerdings auf insgesamt 276 Blättern auch Zitate von 88 namhaften Alchemisten bzw. Werken versammelt und insofern für ein breiteres Publikum kaum anders als in Form eines allgemeinen Abrisses abgehandelt werden kann. Aufschlussreich und gleichsam als Nahaufnahme ist wiederum die kurze, den Band abrundende Untersuchung von Doris Oltrogge und Robert Fuchs zu den Maltechniken der Bilder im Rosarium. Sie konnten mittels Vis-Farbspektroskopie und Röntgenfluoreszenz die meisten Farbmittel identifizieren: Verwendet wurden in den Sol und Luna-Illustrationen etwa Zinnober, gemischt mit Mennige, Azurit, Indigo, Kupfergrünpigment, Bleiweiss und vor allem Safran. Auf eine Stiftzeichnung, die später zum Teil ausradiert wurde, folgte erst die Reinzeichnung mit Kohlenstofftusche, sodann die eher durchscheinende Kolorierung, bei der oft der Papiergrund für die Höhungen genutzt wurde. Nachträglich bedeckte man die Scham der Hermaphroditen mit blauen «Badehöschen» im dezenten Azurblau. Auch sie sind sehenswert.

Rudolf Gamper, Thomas Hofmeier:
Alchemische Vereinigung. Das Rosarium Philosophorum und sein Besitzer Bartlome Schobinger. Mit einem Beitrag von Doris Oltrogge und Robert Fuchs. Zürich: Chronos Verlag 2014, 238 S., 183 Farbabb., geb., Sfr. 48.—